Ein Jahr in Stockholm
Allertollste!“, antworte ich nicht; ich schlucke. Dabei hat die Sache noch nicht einmal begonnen.
Weiter drinnen am Platz ist ein riesiger Scheiterhaufen aufgerichtet, und ich fürchte schon, dass das durchnässte Holz nicht richtig brennen könnte, als einige Frauen und Männer ihre Fackeln ins Gerüst halten und sich ein jäher Feuerschwall über die Scheite hermacht. Bald darauf strahlt er dermaßen viel Hitze ab, dass das Publikum geschlossen ein paar Schritte zurückweicht. Von irgendwoher dringen über Lautsprecher Reden zu uns herüber, in denen dargelegt wird, was man sich als schwedischer Bürger wünscht: eine friedliche Stadt und ein friedliches Land, um zu einer friedlicheren Welt beitragen zu können. Dann schreien alle viermal hurra! und beginnen Volkslieder mitzusingen, in denen der Mai begrüßt wird.
Später am Abend vergnügen wir uns mit Elin, Sanne und ihren Freunden an den Getränke- und Wurstbuden und lauschen, wie manche über das offene Mikrofon Heiratsanträge machen oder singen und hoffen, als Superstar entdeckt zu werden. Das Maifeuer dampft und prustet davon unbeeindruckt Funken in den Himmel. Als Letztes berichtet ein Junge von seiner Exfreundin. Dass sie nun mit seinem Bruder zusammen sei, finde er toppen , spitzenmäßig, was allerdings schwer zu glauben ist, da er herzzerreißend ein Lied intoniert, das vom Refrain
I love you,
I love you,
I love you-hou
beherrscht wird.
maj
Ich bin kein Schwede , ich bin krank. Bin ich sonst nie. Deshalb habe ich es den Stockholmern auch bedenkenlos gleichgetan, beim ersten Sonnenstrahl Schal und Stiefel im Schrank verstaut und ohne Winterjacke ein Picknick im Kungsträdgården genossen. Im T-Shirt habe ich mich im Dachterrassencafé auf Vaxholm in den Schären gesonnt und Arme und Gesicht in den ersten Frühlingsregen gestreckt. Nun liege ich flach.
Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ein Tanzbär darauf gesteppt. Der Hals ist wund, die Stirn heiß, die Nase zu. Draußen trinkt das schwedische Volk auf den König und sich selbst. Heja Sverige! Wie man es eben macht am Ersten Mai. Es wird demonstriert, Gewerkschaften organisieren energische Reden und mäßige Popkonzerte. Noch nie hat mich das Dabeisein so gereizt wie jetzt. Ich liege vor lauter Monotonie dermaßen ungehalten im Bett, dass sich Oskar nach dem letzten Wutausbruch kaum zum Frühstück in die Küche traut. Caro ist abgehärteter, hört geduldig zu, bringt noch vor der Arbeit heiße Zitrone und zwei schwedische Kinderbücher vom Flohmarkt am Karlaplan, die ich so schnell auslese, dass ich vor Langeweile ernsthaft in Erwägung ziehe, Lisa Persson anzurufen. Ihr Name steht in unsicherer Bleistiftschrift mit Telefonnummer auf Seite drei.
Ding-dong. Die Türklingel kommt uns dazwischen. Ich springe so euphorisch auf, dass mein Kopf für einen Moment Achterbahn fährt. Dasselbe tut mein Magen, nachdem ich dem Besuch geöffnet habe. Es ist Lars – ausgerechnet! Er sieht ziemlich bedröppelt aus, wie er da mit einerherrlich pinkfarbenen Gusmania im scheußlich gelben Hausflur steht. Aber ich will nicht wissen, was für ein Bild ich abgebe. Er begrüßt und bemitleidet mich, glaube ich. Ich höre ihn nur sehr gedämpft. Beim nächsten Hustenanfall winke ich ihn herein. Er bekommt Bier, und ich gieße mir schnell Fencheltee nach, bevor ich die Gelegenheit nutze, so viel zu erzählen, wie ich möchte. Und weil es Lars ist, beginnt mein ausführlicher Bericht bei Mitte Februar, König Carl Gustaf und Bürgermeister Bo.
Eine Woche später ist die Welt wieder in Ordnung. Caro und ich treffen uns mit Gunilla und Bengt an Gleis sieben. Über Pfingsten haben uns Mutter und Sohn in ein Häuschen auf dem Land eingeladen. Die Regel ist die: Jeder fünfte Schwede besitzt eine solche stuga – und unsere Gunilla genehmigt sich mal schnell fünf Sommerhütten. Zur auserwählten fahren wir in die angeblich schönste und schwedischste Gegend Schwedens, die gut vier Stunden nördlich von Stockholm beginnt. Dalarna heißt die Provinz mit ihren breiten Tälern und bewaldeten Höhen. Die Landschaft rund um den Siljansee ist bekannt für ihre Holzindustrie, die Zurschaustellung schwedischer Bräuche und Trachten sowie die Faluner Kupfererzmine. Ein Nebenprodukt des Kupferabbaus ist jene rotbraune, holzkonservierende Farbe, in der die allermeisten Holzhäuser gestrichen sind. Das rattert Caro aus ihrem Reiseführer herunter, bevor es unser Zug schafft, aus T-Centralen herauszukommen.
Gunilla zieht
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