Ein Jahr in Stockholm
Knäckebrot, die mit ihrem Gucklochaussieht wie eine Schallplatte in Übergröße und damit die drei Prinzipien des schwedischen Designs wiederholt: Sie ist multifunktionell, dient in Bertils Fall dem Schabernack und hält sich zwanzig Jahre ohne Einbuße von Knack und Geschmack.
Wie die meisten trinke ich öl , also schwedisches Bier, und bin zufrieden. Doch Onkel Bertil findet das dem Tag nicht angemessen, erklärt den Paulaner -Kasten für eröffnet und stellt Caro, Marcel und mir immer wieder eine nubbe diverser Schnapssorten aufs Knäckebrot. Als Nachspeise tischt Elisabet eine zweistöckige torta aus Sahne und frischen Erdbeeren auf. Alles schmeckt wunderbar, aber als wir hinüber auf die Pferdekoppel wandern, ist mir mit einem Mal gehörig übel.
Mit Mühe schaffe ich es, bei einigen der jetzt anstehenden Familienspiele auszusetzen. Es ist mir, als nenne mich Cousin Freddy deswegen leise „Kartoffel“. Um den Eierlauf und das Sackhüpfen komme ich nicht herum, da in Geschlechtergruppen gegeneinander gekämpft wird und nur ein Drittel der Partygesellschaft Frauen sind. Beim Stockdrehen werde ich glücklicherweise bei der gegnerischen Mannschaft zum Zählen eingeteilt und darf zuschauen, wie Onkel Bertil zur im Boden verankerten Kunststoffstange flitzt, sie an die Stirn drückt, die Augen schließt. Nun soll er sich eigentlich zehnmal um die eigene Achse drehen und sich dann bestmöglich zu seinem Team navigieren. Doch als ich sju , sieben, rufe, ist ihm bereits so schwindlig, dass er rückwärts torkelt, dabei die Stange aus der Erde reißt und auf den Rücken knallt.
In der Trinkkultur aber ist Bertil einsame Spitze. Als wieder alle zusammensitzen, erklärt er den Ritus, etwas Hochprozentiges zu trinken, danach schnell eine snapsvisa , ein Trinklied, anzustimmen, um erneut einen Schnaps zu trinken. Ich komme nicht gleich mit, weil ich schon einiges an snaps intus habe und gebannt die Wanderung seinerHosenträger studiere, die bei jedem Lachen – bei Onkel Bertil eine Ganzkörperaktivität – eine Handbreit weiter die Schultern runterrutschen. Jedenfalls: Das bekannteste Trinklied heißt Helan går und geht folgendermaßen:
Helan går,
sjung hoppfaderallan lallan lej.
Helan går,
sjung hoppfaderallan lej.
Och den som inte helan tar,
han heller inte halvan får.
Sjung hoppfaderallan lej.
Es hat einzig den Sinn, dazu zu motivieren, das Stamperl Schnaps im Ganzen hinterzukippen, versehen mit der Drohung, dass sonst nicht mal mehr ein halbes folgen würde. Meine schwedische Freundin Madeleine hatte es beim Neujahrsfroschessen unter Autobauern in Japan gesungen, weil es das erste Lied war, das ihr in den Sinn kam. Dabei wären die små grodorna, die kleinen Frösche, in Nippon doch viel passender gewesen.
Wie Madeleine ging es auch den schwedischen Eishockeyspielern 1957 in Moskau, als sie gegen die Sowjetunion gewannen und Weltmeister wurden. Bei der Nationalhymne Du gamla, du fria waren die meisten nicht sonderlich textsicher. Helan går aber kannte jeder, und so sang man eben das.
Nun steht kubb auf dem Programm, ein Spiel mit Holzklötzen, das eine Schlacht symbolisieren soll, in der zwei verfeindete Truppen für ihren König kämpfen. Und weil Onkel Bertil das so martialisch erklärt, stimmen alle dafür, dass nun Deutsche gegen Schweden spielen. Also versuchen Marcel, Caro und ich, die Klötze, die Johan, Stig und Lena auf ihrer Grundlinie ins Gras gedrückt haben, mit unseren Wurfhölzern umzuschießen. Das funktioniert erstaunlich gut, und Johan attestiert uns auf Deutsch „das nötigFingerspitzligefühl“. Dann beschließt der Nachbarshund mitzumachen, räumt das komplette Spielfeld ab und läuft mit einem Wurfholz vor Stig um die Büsche.
Nach mehreren Regenpausen führt Deutschland klar, und es ist an Marcel, den in der Mitte platzierten König, der bislang tabu war, bei drei Versuchen zu treffen. Im ersten Anlauf wackelt der kung , fällt aber nicht. Stig versucht Marcel abzulenken und packt sein diffuses Deutschrepertoire aus. Singt „Deine blauen Augen machen mich so sentimental“, „99 Luftballons“ und Rammstein-Passagen, spricht wie Hitler und merkwürdiges Zeug wie „Ick habe Kartuffel jelernt“. Der König purzelt. Und Stig verhält sich wie seine Nation im Zweiten Weltkrieg. En svensk tiger. Ein Schwede schweigt.
„Am Ende gewinnen doch immer die Deutschen“, ärgert sich Johan, doch Caro verbessert ihn: „Nee, nee, nicht immer – zum Glück!“
Damit ist das
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