Ein Jahr in Stockholm
dauert weit weniger lange als mit Lars am Steuer. Das liegt zum einen daran, dass kaum Schweden unterwegs sind. Die meisten von ihnen bleiben länger auf dem Land als wir, da auch die Kinder schon Ferienhaben. Zum anderen halte ich mich nicht so übertrieben an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Sonst kommen wir ja nie vom Fleck in einem Land, das größer ist als Kalifornien und bis nach Sizilien reicht, wenn man es an seiner Südspitze umklappt. Lars sieht die Zuhilfenahme des Gaspedals nicht so entspannt.
„Die Strafen sind hier keine Schnäppchen wie in Deutschland.“ – „Als ob ich auf menschenleerer Straße irgendwen gefährden könnte!“ – „Darum geht’s nicht. Überfahr einen Zebrastreifen, und du zahlst 3000 Kronen.“ – „Ihr malt ernsthaft Zebrastreifen auf die Landstraße?“ – „Nein, dummes Beispiel. Aber was machst du, wenn plötzlich der Elch kommt?“ – „Dann fahre ich um ihn herum. Oder gebe Gas. Je nachdem.“ Das wäre dann mein persönlicher Elchtest.
„Hör mal, in Schweden gibt’s eine halbe Million Elche und jedes Jahr fünftausend Unfälle mit ihnen – so ohne ist das nicht. Man knallt gegen die langen Beine, und die klappen einem mit ihren achthundert Kilo direkt aufs Dach.“ – „Fahren deshalb die meisten von euch diese alten Volvo-Kästen? Mit Knautschzone von oben?“ – „Vielleicht. Ist dir übrigens aufgefallen, dass fast alle Volvos in Schweden elchgrau sind?“ Was für eine merkwürdige Diskussion. Ich muss lachen: „ Ta det lugnt, Lasse!“
Alles geht gut, und die Stimmung ist prima – bis wir die Tür zur Wohnung an der Skeppargatan öffnen. Im Flur surrt eine hüfthohe Maschine, die langsam über das Parkett zuckelt. Das wiederum wölbt sich neuerdings um unsere Knöchel. Das Thermometer am Eingang zeigt 63 Grad. Offensichtlich hat sich eine mittelschwere Überschwemmung ereignet, denn in den Schuhen in unseren Zimmern steht noch immer das Wasser.
Linnéas Zimmer ist leergeräumt. Von ihr selbst keine Spur.
juli
Darwin sitzt im Schrank , eine Plastiktüte über dem Kopf. Gerade eineinhalb Tage befindet sich der Kater in Caros und meiner Obhut, und schon ist er selbstmordgefährdet. Sein Bruder Elliot hat sich auf dem Hochschrank in Linnéas Zimmer ins hinterste Eck verkrochen und ist froh, wenn wir uns nicht blicken lassen.
Linnéa ist mit Ziehmama Gunilla, deren Mann Gustav und Sohn Bengt auf großer Deutschlandtour. Gunilla nennt das anders, nämlich: Urlaub in München in Österreich. Meine Andeutungen, dass die bayerische Landeshauptstadt durchaus noch dem Großraum Deutschland zuzurechnen ist, hat sie mit einer abwertenden Handbewegung als Unsinn vom Tisch gewischt. Auch unsere Deutungsversuche, was die Überschwemmung angeht, dringen nicht zu ihr durch.
„Der armen Linnéa ist beim Duschen ein bisschen Wasser über den Badewannenrand getröpfelt“, erklärt uns Gunilla den Spontanurlaub am Abend vor der Abreise: „Da kann sie nichts dafür, aber dennoch ist ihr das Ganze schrecklich peinlich. Sie braucht jetzt Entspannung.“
Angesichts des 42 Zentimeter hohen Wasserstands, der sich am Dreckrand der Tapete offenbart, überlege ich kurz, ob sie uns verkohlen will. Wegen des gewölbten Parketts lässt sich unsere Badezimmertür nicht mehr schließen und steht bei jeder Aktivität einen ellbogenbreiten Spalt offen. Wir rekonstruieren das Tatgeschehen so: Linnéa hat den Wasserschlauch der Waschmaschine wie sonst auch in den Flur statt in die Badewanne gelegt. Mit dem Unterschied, dasstagelang niemand zu Hause war, um dieses Missgeschick zu korrigieren. Sie wäscht ihre Hände aber natürlich in Unschuld. Und obwohl bei Gunilla eine Etage tiefer das Wasser über die Tapete rann, zweifelt sie nicht an der haarsträubenden Duschtropf-Geschichte. Die Frau hat andere Sorgen.
Sie hatte Caro und mich nach längerer Pause hinunter in ihre Wohnung gebeten. „Könnt ihr wieder mal zum Essen kommen?“, hatte sie gefragt, als wir uns im Aufzug begegnet waren. Sie wirkte bedrückt. So saßen wir also Stunden später auf Plastikplanen, während Gunilla wie üblich wegen des Mixer-Lärms ihre Bauarbeiter-Ohrenschützer aufsetzte und uns Blaubeeren pürierte. Zum Warmlaufen sahen wir in einer Diashow viel Bengt vor wenig südafrikanischer Kulisse.
Danach schob uns Gunilla ein Blatt Papier mit allerhand Paragraphen über den Tisch. Wir wurden stutzig. Bisher hatten wir keinen Mietvertrag unterschrieben. Alles basierte auf Vertrauen, in diesem
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