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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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keinen Sonnenuntergang gibt, nach dem man sich richten kann, ist sozusagen Ausnahmezustand. Also darf die Flagge meinetwegen hängen, bis sie schwarz wird.“ Johan gibt nach, und Elisabet nickt erfreut. „Und das entscheiden sie dann jedes Jahr“, fügt Lars hinzu.
    Auf so viel Tradition trinken wir eine nubbe , ein Stamperl Schnaps. Skål! Ich bin begeistert von Mittsommer. Einige Frauen der Festgesellschaft tragen weiße Leinenkleider, manche Trachten. Für Männer scheint es keine Regel zu geben. Die meisten sind in T-Shirt und Jeans gekommen. Für die Stockholmer, die sich im Alltag immer sehr stylisch kleiden, ist wohl an besonderen Tagen wie diesem das Gegenteil von Aufbrezeln angesagt. Steht ihnen gut, so mitten in der Natur. Die meisten laufen barfuß durchs Haus und über die Wiese, also tun wir es ihnen gleich. Die Kinder der Nachbarn haben sich aus Birkenzweigen Kränze geflochten, mit Wiesenblumen ausstaffiert und auf den Kopf gesetzt. Caro und ich überreden sie, uns zu zeigen, wie die Kränze am schönsten werden, und schon sind wir mittendrin im Geschehen.
    Auf der Dorfwiese hinter dem unumzäunten, nur durch einen Bach abgetrennten Grundstück der Familie Sällström soll gleich die majstång aufgestellt werden, ein Mittsommerbaum mit einem Dreieck und seitlich angebrachten Kränzen. Folglich pilgert der ganze Clan in ordentlichen Zweiergrüppchen über einen Steg hinüber.
    Lars berichtet währenddessen, dass das maj in majstång keineswegs vom Monat maj herrührt, wie ich kombiniert hatte, sondern vom Verb maja , was „mit Blumen schmücken“ bedeutet. Ich packe mein überschaubares Wissen über Maibäume in Bayern aus, die tatsächlich im Mai aufgestellt werden, was auf den Dreißigjährigen Krieg, den Schwedenkrieg, zurückzugehen scheint. Das hatte ich mir auf Wikipedia angelesen. Der Maibaumstamm, wie ich ihn kenne, trägt im Gegensatz zum schwedischen weiß-blaue Spiralen, Zunftschilder und Sprüche für eine gute Gemeinschaft. Der frappierendste Unterschied aber dürfte sein, dass in Schweden keine Blaskapelle dazu aufspielt, nach der ich mich intuitiv umsehe, als wir auf der Festwiese ankommen.
    Hier gucken alle gespannt dabei zu, wie Männer der Gemeinde in einer Hauruck-Aktion die majstång aufrichten. Dann aber legt eine alternde Dame mit brüchiger Stimme am Mikrofon los. Sie ist Sängerin und Animateurin in einem und macht ihren Job ausgezeichnet. Die Leute – inklusive aller Sällströms und uns Deutschen – formieren sich um den Maibaum, fassen sich an den Händen und beginnen reihum zu tanzen. Dazu singen sie (mit diversen Wiederholungen):
    Små grodorna, små grodorna
    är lustiga att se.
    Ej öron, ej öron,
    ej svansar hava de!
    Ko-ack-ack-a, ko-ack-ack-a,
    ko-ack-ack-ack-ack-a.

    Das Lied beschreibt kleine Frösche, die naturgemäß weder Ohren noch Schwanz haben. Wir springen in der Hocke im Kreis und müssen an den Stellen, an denen diese körperlichen Missstände zur Sprache kommen, die Hände an Schläfen und Hinterteil ansetzen und wild mit ihnen wackeln. So geht es eine Ewigkeit – und vor allem in die Beine.
    „Das haben die sogar im Spielberg-Film Minority Report gesungen!“, ruft Lars mir zu, „nur haben die öron durch ögon ersetzt, also Ohren durch Augen. In der Szene war irgendwer beim Augenarzt.“ Das macht die Sache nicht besser. In der zweiten Strophe geht es um Schweinchen, die seltsam grunzen:
    Å nöff-nöff-nöff,
    å nöff-nöff-nöff,
    å nöff-nöff-nöff-nöff-nöff ...

    Wie ich später erfahre, soll sich dieses Spielchen an Weihnachten wiederholen, beim Tanz um den Tannenbaum. Tatsächlich stellt es einen wichtigen Bestandteil der schwedischen Kultur da, denn die Textsicherheit wurde bereits in Einstufungstests der Schwedischen Botschaft in Paris geprüft. Auf die Art wollte man entscheiden, ob ein lange im Ausland lebender Schwede seine schwedische Staatsbürgerschaft behalten dürfe.
    Zurück auf der Veranda gibt es ein üppiges Mahl, das auf jedem Tisch im Land eins zu eins so aussieht, riecht und schmeckt. Das zumindest behauptet Onkel Bertil, der sich mächtig aufs Service lädt, als die Hälfte der Gäste noch gar nicht Platz genommen hat. Aus Höflichkeit kleckse ich mir etwas senapsill , Hering in Senfsoße, und skärgårdssill , sogenannten Schärengartenhering in Kräutersahne, auf den Teller, daneben große Mengen der tollen Jungkartoffeln, geplatzte Würste, Sauerrahm, köttbullar und Käse. Unter dem Teller parke ich eine Scheibe

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