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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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Sing-und-Spiel-Programm beendet. Die Mittsommerrakete, die wir mit Gunilla eingeübt hatten, entfällt. Wir sitzen gemeinsam bei Kerzen- und Fackellicht um den Veranda-Tisch, erzählen alte Geschichten und lachen. Elisabet berichtet uns Deutschen mit Genuss, wie ihr Sohn Lasse vor vielleicht zehn Jahren an Mittsommer derart vom Alkohol benommen war, dass er einen Hechtsprung in den Goldfischtümpel versuchte. Dabei landete sein Kopf auf der Wasserpumpe, weshalb man einen Arzt auftreiben musste. Das ist in Schweden auf die Schnelle grundsätzlich nicht leicht – und an Mittsommer schon gleich gar nicht. Schließlich musste der Doktor arbeitswillig und einigermaßen nüchtern sein, um die Stelle mit der Platzwunde zu rasieren und die Hautfetzen wieder zusammenzutackern. Wochenlang sah Lars aus wie Gorbatschow.
    So geht es im Kreis herum, wie zuvor um den Mittsommerbaum. Ich schildere, wie ich eines schönenSommermorgens nicht mehr ganz standfest an der Tür meiner Eltern geklingelt hatte, weil mein Schlüssel in den Gully geplumpst war. Warum wir im Juli mit Feuerzangenbowle durch die Nacht gefeiert hatten, ist mir bis heute ein Rätsel. Weihnachtliche Assoziationen verleiteten mich zu einem lauten „Hallo, hier ist der Nikolaus!“. Bei dem Vorhaben, meine eigenen Stiefel für die Bescherung zur Verfügung zu stellen, klappte ich in unseren Buchsstrauch und fand die Gelegenheit günstig, mich dort der Bowle zu entledigen, die mir über war.
    „Na, dann passt ihr ja bestens zusammen“, ruft Johan in die Runde. Bertil ist beeindruckt und erhebt das Glas: „Darauf, dass eure Kinder euch auch so viel Freude bereiten mögen!“ Elisabet prustet vor Lachen oder vor Schreck, ich weiß es nicht genau, den Aquavit in die Margariten.

    Gegen ein Uhr nachts ziehen wir zu viert noch einmal los. Es ist taghell. Caro und ich müssen als unverheiratete Frauen bei völliger Stille auf sieben Wiesen sieben Sorten wilder Blumen pflücken. Nach dem Brauch sollen sie unters Kopfkissen, damit sie uns im Traum sagen, wen wir heiraten werden. Allerdings schlafen wir wie die Murmeltiere und können uns an nichts erinnern. Doch auch ohne diese Prophezeiung hatte die Natur etwas Magisches. Die Schweden erzählen sich, dass in diesen Stunden die Elfen tanzen und sich Trolle hinter den Bäumen verstecken. Der Morgentau des Mittsommertages könne kranke Tiere und Menschen heilen, hatte Elisabet berichtet, weshalb man ihn in Flaschen auffange und zum Brotbacken nutze.
    Ob er auch gegen zwei Brummschädel helfen würde? In der Früh nach einer extrem kurzen Nacht schleichen Gorbatschow und der Nikolaus über die alten Holzböden. Am Vortag hatten Lars und ich beschlossen, für die Großfamilie Frühstück zu machen. Das war, bevor ich begriff, welche Sause für den Abend anstand. Unsere schweren Köpfedrücken zusätzlich gegen die knarzenden Platten, weshalb ich unseren Plan schon auf den ersten Metern zum Scheitern verdammt sehe. Ich könnte schwören, aus Bertils Zimmer Stimmen zu hören, doch Lars meint, er habe nur ein sehr spezielles Schnarchen.
    Veranda und Küche sehen aus wie nach einer dreitägigen Fete im Studentenwohnheim. Während ich eine Unmenge an Flaschen, Tellern und Gläsern einsammle und die erste Spülmaschinenladung anwerfe, hat Lars bereits einige Pfannkuchen gebacken und Kaffee durchgelassen. Ich folge seinen Anweisungen und verteile vier Sorten Knäckebrot auf dem Tisch, literweise f ilmjölk , die säuerliche Dickmilch, eingemachte Konfitüre und Müsli. Dann schneiden wir Lachs, kochen Beeren zu Kompott und Haferflocken in Milch, pressen Fruchtsaft, schneiden Gurken, Äpfel und Tomaten. Lars holt beim Landbäcker frische kanel- und sesambullar sowie das dunkle Sirupbrot, das aussieht und riecht wie Schokoladenkuchen. Ich quetsche Schalen unterschiedlich stark gesalzener Margarine mit dazugehörigen Holzmessern zwischen Teller und Tassen und stapfe hinaus ins nasse Gras, um Wiesenblumen zu besorgen. Als ich zurückkomme, steigt auch Lars wieder übers Gartentor – und die Hälfte der Plätze an der Frühstückstafel ist bereits besetzt. Bertil grinst so breit, dass für mich klar ist, wer da getratscht hat.
    Vor der Abfahrt verspreche ich Elisabet und Johan und dann noch zweimal Onkel Bertil persönlich in die Hand, zum kräftskiva , dem großen Krebsschmaus im August, zu kommen. Bertil verkündet – wohl zum Ausgleich –, mich künftig regelmäßig in Stockholm zu besuchen.

    Die Strecke zurück fahre ich. Es

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