Ein Jahr in Stockholm
lachen: „Da müssten wir zwei inzwischen ganz gute Chancen haben in Schweden, oder?“ – „Na klar, ta det lugnt ! Und zur Not lassen wir nachts mal die Balkontür für die Katze auf. Milchreis?“
An einem der kühleren Nachmittage stehen plötzlich die Busse still, die Ausflugsschiffe trudeln an ihrer Leine im seichten Wasser und schlagen dumpf gegen die Ufermauer der Anlegestellen. Die t-bana fährt, hält aber dem Ansturm kaum Stand. Auf überfüllten Bahnsteigen stehen Berufstätige Schlange, um in der nächsten Stunde eventuell transportiert zu werden.
Der Grund: Kapitäne und Busfahrer wollen mehr Geld für ihre Arbeit. Weil das die Stockholmer aber nicht mehr als nötig in Mitleidenschaft ziehen soll, hat man bis Juli mit dem Streik gewartet. Viele von ihnen sind bereits aufs Land geflüchtet, und Schwedens Hauptstadt präsentiert sich ob der Solidarität des Volkes einer ersten großen Welle von Sommertouristen nicht gerade von ihrer Schokoladenseite.
Caro und ich fügen uns der unglücklichen Situation. Ta det lugnt! Wir nutzen die Gelegenheit und widmen unserer Wohninsel Östermalm ungeteilte Aufmerksamkeit. Wir besteigen den Fernsehturm, der mit seinen 155 Metern dashöchste Bauwerk Skandinaviens ist, besuchen die 120 Jahre alte Markthalle saluhall mit den gigantischen Fischmäulern auf den Eistresen und wandern hinab in die Tresorgewölbe des Historischen Museums, um Halsschmuck aus Wikingergräbern zu begutachten.
Eine weitere Sehenswürdigkeit sind die Stureplan brats , wie die Schnösel aus unserem Nobelviertel im Rest Stockholms abfällig genannt werden. Sie tragen Gucci, spitze Schuhe und zu viel Gel im gescheitelten Haar. Die nachwachsenden Schuljungen setzen dem Erscheinungsbild die Krone auf: Sie laufen, als hätte ihr Allerheiligstes schlimme Schwellungen, was wohl auch der Grund dafür ist, dass sie die Hosen unterhalb des Hinterteils zusammenschnüren wie einen Kartoffelsack. Caro und ich bestaunen den Push-up-Effekt, wundern uns aber, wieso keiner auf die Idee kommt, sie „Kartoffel“ zu rufen.
Am Wochenende kehren unsere Vermieter zurück. Im Türschlitz klemmen die Eintrittskarten zu einem Spiel in der Allsvenskan , Schwedens erster Fußballliga. Kurz darauf wandern wir mit Bengt die wenigen Straßen hinüber zu Stockholms Stadion, das den Charme einer mittelalterlichen Burg versprüht. Weil wir viel zu früh dran sind, weil Bengt viel zu nervös ist, wählen wir einen Umweg über den Parkabschnitt kattrumpsbacken , den Katzenhinternhügel. Selbst dem weichen Erdboden gelingt es nicht, das rhythmische Klack-klack-tock-tock seiner Holzschuhe zu dämpfen.
Während Caro und ich dem in Schweden populären Eishockey und dem Bandy (einer Abwandlung davon, die mit elf Spielern pro Mannschaft draußen gespielt wird) genauso wenig abgewinnen können wie Golf, olympischem Gehen oder Wasserballett, kommt uns Bengts Leidenschaft sehr entgegen. Die Jahreszeit auch. Die Saison beginnt nämlich erst im Februar – und wenn eine Europa- oder Weltmeisterschaftansteht, wird sie Mitte Mai schon wieder unterbrochen. Spieler wie Zuschauer frieren sich dann noch im November die Hacken blau.
Auf dem Weg vorbei an den Bronzeskulpturen verdienter Sportler und hinauf zu unserem Tribünenabschnitt stülpt sich allmählich die Geräuschkulisse eines Fußballstadions über uns. Das veranlasst Bengt dazu, das Gespräch abrupt zu beenden und sich dem Spiel des Stockholmer Clubs Djurgården IF gegen Malmö entgegenzumeditieren. Die Partie selbst erinnert mich an Momente in der deutschen Heimat, genauer gesagt an einen Grottenkick aus der dritten Liga. So sieht das in der obersten schwedischen Spielklasse leider auch aus. Die guten Spieler würden von England und Spanien weggekauft, rechtfertigt sich mein Sitznachbar kurz nach Anpfiff, als könne er Gedanken lesen. Aber die Nummer acht von den Blauen sollten wir im Auge behalten, denn die habe Zunder in den Beinen.
Tatsächlich. Der Linksverteidiger wirbelt über den Platz wie ein junger Hund, holt sich die Bälle und schlägt glänzende Flanken, welche die Djurgården-Stürmer über das Tor heben oder bereits in der Annahme versemmeln. Ich blättere im Programmheft nach dem Namen. Dabei erfahre ich, dass unser Club den Spitznamen „Die Heizung“ trägt und sogar der König mitfiebert. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Hier haben wir den einzigen Deutschen, der für Stockholm in der Allsvenskan spielt: Jan Tauer, der von Braunschweig an den
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