Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
Vom Netzwerk:
Hamburg, Caro und Sanne gondeln weiterhin durch Deutschland, Oskar segelt irgendwo vor Göteborg. Elin und Qimmiq genießen die Ruhe im Wald, und auch die Kinder Pollie und Nadine sind für mehrere Wochen bei den Großeltern draußen in der Natur und brauchen mich nicht. Genauso steht es mit den meisten dagis -Hunden, die Frauchen und Herrchen zur sommarstuga gefolgt sind. Beim Schreiben herrscht Sommerloch. MeinSprachkurs liegt auf Eis. Und ich frage mich plötzlich, was ich hier eigentlich verloren habe, in dieser Geisterstadt. Depressionen bekomme ich in Schwedens Hauptstadt nicht im Winter, wenn die Sonne verschwindet, sondern im Sommer, wenn die Freunde davonlaufen.
    Ein einziger Leidensgenosse ist mir geblieben, der die unheimliche Ruhe erträglicher macht und mich sehr gerne aufheitern möchte, wie er betont. Ich entdecke Anders weit hinten an einem Tisch im Café Rosengården , das so idyllisch in den Innenhof des Historischen Museums eingebettet ist, dass Anders’ Miene gar nicht dazu passen will. Oj, oj, oj, offensichtlich hat selbst er mittlerweile miese Laune.
    „Dass ich nicht lache!“ Ohne mich zu begrüßen, schlägt er mit dem Handrücken auf die rechte Spalte seiner Tageszeitung: „Weißt du, wo die glücklichsten Menschen der Welt wohnen sollen?“
    Ach, keine Ahnung. Stockholm fand ich jedenfalls schon lebenswerter.
    „Kopenhagen!“ Er hatte nicht auf eine Antwort gewartet. Stattdessen schiebt er mir die Zeitung herüber, damit ich mich von dieser Ungeheuerlichkeit überzeugen kann. „Kopenhagen“, sagt er noch einmal ungläubig, „und wir Stockholmer: auf Platz sieben.“
    Nachdem ich den Bericht studiert habe, kapiere ich, was so furchtbar daran ist, in der objektiv siebttollsten Stadt der Welt daheim zu sein: all die Städte und glücklichen Menschen, die sich vor Stockholm gedrängt haben. Helsinki auf Rang fünf. Solche Vergleiche zu verlieren, bekommt einem Schweden überhaupt nicht. Die Nachbarn sind in Ordnung, gute Kumpel – solange sie nicht zu aufmüpfig werden. Dass sie einen nun um das Glück bringen wollen, das ist ein Affront!
    „ Danskjävlar , dänische Schweinehunde“, schimpft Anders, und ich werde angesichts seines Lamentierens nochübellauniger. „Komm, ta det lugnt! Was ist denn nun die versprochene Überraschung für unglückliche Menschen wie mich?“
    Eine halbe Stunde später stehe ich im Fahrerhäuschen einer t-bana und bremse den blauen Koloss von acht Waggons im Bahnhof Bagarmossen. Zum Trost gegen das Alleinsein hatte sich Anders überlegt, mich zu seiner Arbeit mitzunehmen. In Stockholm ist es ein beliebter Studentenjob, eine Untergrundbahn zu führen. Jeder, der in der Lage ist, ein Auto zu steuern, kann sich zum t-bana- Fahrer einweisen lassen – und das tun, was ich gerade tue. Anders sitzt derweil auf dem Fahrerstuhl schräg vor mir und begutachtet angespannt, dass ich nicht die roten Knöpfe für eine Notbremsung drücke. Und so rasen wir gemeinsam auf der grünen Linie über den Gullmarsplan hinein in die Innenstadt.
    Weil keine Spiegel an den Bahnsteigen hängen, steigt Anders bei den meisten Stopps mit einem gelockten Telefonkabel aus, macht Ansagen auf Schwedisch und überzeugt sich persönlich davon, dass alle Fahrgäste, die sich ihm anvertrauen, auch gut den Weg über die Schwelle und durch die Türen schaffen. Allerdings kann es durchaus vorkommen, dass er vergisst, die Türen an einer Station zu öffnen, sagt er.
    Heute passiert das nicht. Ich bin deutsch, pünktlich und zuverlässig.
    „Vielleicht kannst du dich beim Einfahren in die Stationen ducken, damit dich nicht jeder sieht“, meint mein Tandempartner irgendwann: „Ich weiß nämlich nicht, wie so was bei den Kollegen ankommt. Ich hätte dich anmelden müssen, glaube ich.“ Ich soll blind bremsen? Und das sagt er mir jetzt, nachdem ich bei Slussen zwei entgegenkommenden t-bana- Fahrern enthusiastisch zugewinkt habe?
    Das verschweige ich besser und lasse mir stattdessen auf meiner letzten Tour zwischen Gamla stan und t-centralen eine Vorrichtung zeigen, die dafür sorgt, dass die Passagiere im Falle eines Wassereinbruchs geschützt sind. Die Altstadtliegt deutlich höher als der Hauptbahnhof, und es wäre denkbar, dass der Verbindungstunnel wegen des starken Gefälles rasant mit Wasser vollläuft. Dafür sind zwei riesige Stahltüren in den Tunnelwänden verankert, die im Falle einer Flut die t-bana von vorne und hinten umschließen und so sicherstellen, dass alle Schäfchen im

Weitere Kostenlose Bücher