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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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schweißtreibenden Sommer, scheint er sich auf seine finale Größe auszudehnen und Schweden minütlich mit ihm zu wachsen. Mit einer Geburtenrate von 1,8 liegt das Königreich immerhin deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Ein Grund dafür ist, dass es Müttern in Schweden im weltweiten Vergleich am besten geht. Wie Marie sind sie relativ gesund, gut ausgebildet und finanziell abgesichert. Damit sich die Papas nicht benachteiligt fühlen, stehen für sie Wickeltische auf den öffentlichen Herrentoiletten. Auch am Hötorget sind bemerkenswert viele Väter zu sehen. Sie haben ihre Babys lässig auf den Bauch gebunden und tunken sie beim Zahlen in die überreifen Pflaumen.
    Doch bei 29 Grad im Schatten haben wir bald genug gesehen. Wir packen unsere Badesachen und machen uns auf nach Långholmen, der Sportlerinsel zwischen Södermalm und Kungsholmen, auf der vielleicht hundert Menschen leben. Direkt hinter dem früheren Zentralgefängnis, das heutzutage als Jugendherberge mit original schwedischen Gardinen genutzt wird, führen Sandbänke ins klare Wasser. Wir schwimmen ein paar Runden mit den Gänsen undbeschließen später bei Livemusik auf der Veranda des Sommercafés Lasse i parken , den Tag mit einer finalen Erfrischung ausklingen zu lassen: in der Absolut Icebar am Vasaplan.
    Am Eingang der ersten ganzjährigen Eis-Kneipe der Welt stülpt uns ein Barkeeper Polarponchos mit Kapuzen und Fellhandschuhen über, erteilt vierzig Minuten Aufenthaltserlaubnis im Eis und erklärt uns und zwanzig anderen Leuten in einer Schleuse zum Hauptraum, wie wir im Falle erster Erfrierungen die Notknöpfe bedienen. Drinnen schimmern bläulich die Eisziegel von den Wänden. Für sie und das Inventar wurde Wasser aus dem Fluss Torne gefroren, das von besserer Qualität sein soll als normales Trinkwasser. Eiskünstler haben die Tische, die Fernseher, einen Graffitisprayer und die sternförmigen Regale zweihundert Kilometer nördlich des Polarkreises geschreinert.
    Dort, im lappländischen Jukkasjärvi, steht auch das einzigartige Eishotel. Es besitzt die Form eines Iglus und eine hauseigene Kapelle, in der zumeist Trauungen abgehalten werden. Statt mit Klapperdosen an den Auspuffen ihrer Cadillacs verschwinden die Paare hier mit Schneemobilen in der Dunkelheit, gehen auf Safari oder zum Eisangeln. Mir gefällt das sehr. Ich bearbeite Lars seit langem, seinen Winterurlaub mit mir in Lappland zu verbringen. Ja, ich will – die fantastischen Nordlichter mit eigenen Augen sehen.
    Weniger bekannt, aber nicht minder spektakulär ist das Theater von Jukkasjärvi, ein 2000-Tonnen-Eisblock, wo die Stehplätze mit Fußkissen ausgelegt sind und die Logen mit Rentierfellen, damit die Besucher nicht erfrieren, wenn Hamlet auf Samisch Rache schwört und Macbeth’sche Schlachten mit Eis-Schwertern geschlagen werden. Beide Häuser werden im November hochgezogen, bevor sie im Mai immer wieder in sich zerlaufen.
    Auch die Sofas in der Icebar sind mit Fellen bestückt, doch wir gesellen uns für einen Cocktail zu den anderenGästen an die Theke. Selbst der wird im dickwandigen Eis serviert. Und weil Schweden auf dem „Wodka-Gürtel“ liegt, schiebt der Barkeeper hier jede Menge Absolut über den Tresen, schwungvoll wie im Wilden Westen, und meist eine rote „Wolfstatze“ oder eine blaue „Winterstadt“. Mein „Diamantenstaub“ stößt dabei einem Eisstock gleich gegen die „Maria im Eis“ meines Nachbarn, zieht den Kürzeren und zerschellt am Boden. „Kopfnuss“, sage ich ganz ta det lugnt und lache meinem Nachbarn zu. Dann erst begreife ich, dass der Deutscher ist und das als Beleidigung auffasst. Da bin ich kräftig ins Klavier getrampelt, wie der Schwede mein Fettnäpfchen umschreiben würde.
    Dafür steigt dem humorlosen Herrn mit seiner Bloody-Mary-Variante wenig später die Schärfe zu Kopf. Bei minus fünf Grad Raumtemperatur rinnen Schweißperlen aus seiner Fellmütze, sodass ihm die Umstehenden ihre leeren Gläser reichen, die er sich in seiner Not gegen Mund und Stirn presst.

    Der extreme Sommer verflüchtigt sich allmählich. Ohne die vertrauten Leute fühle ich mich ziemlich einsam. Die Ruhe nach dem Besuchersturm. Meine sonst so beschwingte Stadt macht Sommerpause. Die letzten Stockholmer sind aufs Land gefahren, und ich bin allein unter all den Touristen, die die Schärendampfer stürmen. Gunilla, ihr Mann Gustav, Linnéa und Bengt sind am Morgen in ihr Ferienhaus nach Thailand geflogen. Lars sitzt mittlerweile in

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