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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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gleich jedem!“
    An diese Normalität im Umgang mit König & Co. jedenfalls werde ich mich nie gewöhnen. Man stelle sich vor, die Queen radle einem ohne Sicherheitsgefolge auf der Tower Bridge entgegen oder man werfe mit Prinzessin Caroline Jetons über die Roulette-Tische von Monte Carlo.
    Meine Anpassung hört dort auf, wo die Einsamkeit beginnt. Nach 233 Tagen in einem Land, das ich liebe, befälltmich unbändiges Heimweh. Ich habe Sehnsucht nach meiner Familie und den engsten Freunden in Deutschland. Am Bahnhof von Vimmerby lasse ich mich an einem Backsteingebäude nieder, schlucke ein paar Tränen und krame mein Handy hervor. Das einzig Gute ist, dass man sich selbst in den hintersten menschenleeren Sphären der schwedischen Wildnis auf glänzenden Empfang verlassen kann.
    Im Auftrag eines Reiseführers habe ich mich durch die kommerzielle Astrid-Lindgren-Welt in der Region Småland gequält, ein Freizeitpark etliche Stunden südlich der Hauptstadt, der der Schriftstellerin garantiert nicht gefallen hätte. Eine Pippi-Darstellerin, die aussah wie ein Funkenmariechen, und eine völlig überdrehte Madita, die neben mir mit Sirenengeheul vom Dach sprang, schändeten die Heldinnen meiner Kindheit.
    Nun stehe ich in dieser Miniaturausgabe eines Dorfes und bin gefangen in völliger Verlassenheit. Der nächste Zug geht in vier Stunden, die Straßen sind leer, die Stille ist erdrückend. Was an einem Nichts im Nirgendwo soll bitte so wunderbar erholsam sein?
    Mein Herz hüpft, als endlich die Vimmerby-Leuchtreklame vor meinem Zugfenster zurückbleibt. Das Ruckeln und Zuckeln dauert allerdings nur dreißig Minuten, dann plötzlich: ein dumpfer Knall.
    „Liebe Passagiere, wir sind gegen einen Baumstamm geprallt. Nicht dass ihr euch wundert. Bitte geduldet euch, wir finden eine Lösung.“ Verständnisvolles Nicken der Schweden um mich herum. Sie sind das personifizierte Ta-det-lugnt und blättern genügsam in der Zeitung. Ich könnte mittlerweile in die Luft gehen wie das HB-Männchen. Eine Frau in meiner Nähe scheint es zu ahnen und versucht mich zu beruhigen: „Hier gibt’s Millionen Bäume, da kann schon mal einer umfallen.“ Ich blicke aus dem Fenster. Ich sehe: völlige Windstille.
    Die folgenden sechs Stunden in der Zusammenfassung: Eine entgegenkommende Bummelbahn ist in selber Mission unterwegs und rummst gegen einen weiteren Holzbalken. Beide Gefährte sind nur mehr in der Lage, rückwärts zu fahren. Der Lokführer schlägt den Passagieren spontan einen Zugtausch vor. Lachen und Klatschen in meinem Abteil. Allmählich bekomme ich Angst vor den Leuten. Ich stapfe also mit zwanzig Fremden querfeldein über sumpfige Wiesen. Uns entgegen waten Menschen, die es sichtlich locker nehmen. Merke: alles Schweden, keine Deutschen.
    Die Uhr zeigt nach eins, als mein Zug die centralbron zum Stockholmer Bahnhof überquert. Ich bin unendlich dankbar, die Spitze des stadshuset wiederzusehen, die wie eine Krone golden schimmert. Tatsächlich erwische ich noch die letzte t-bana in einer Stadt, die mir nun im Vergleich quicklebendig vorkommt.

    Gunilla ist die erste Rückkehrerin. Dass sie da ist, erfahre ich, als ich den Morgen mit TV3 beginne und stutze, weil darin eine mir unbekannte Frau durch ausgerechnet unseren Hauseingang schlendert und dabei gefilmt wird, wie sie bei meiner Vermieterin klingelt. Gunilla öffnet mit Reklamelächeln die Tür und bittet herein. Fremd wirkt sie und ein wenig wie ein Filmstar – vielleicht, weil ich sie lange nicht gesehen habe. Ich vermute aber, es liegt eher daran, dass sie meinetwegen noch nie Make-up aufgelegt hat.
    In der nächsten Sequenz sitzen die Frauen an Gunillas spitzengedecktem Wohnzimmertisch. Die Plastikhussen sind verschwunden. Der Videotext verrät mir, in welcher Sendung ich mich befinde: Du är vad du äter („Man ist, was man isst“). Demnach wäre ich momentan Pizza vom Vorabend. Um zu sehen, was die Frau im Fernsehen isst und ist, stellt Gunilla sie auf die Körperfettwaage, auf der Caro und ich sonst das Fluggepäck wiegen. Unsere Vermieterin scheint alsEsstherapeutin eine große Nummer zu sein. Sie berichtet, dass sie schon seit Jahren komplett ohne Zucker auskomme. Als Bengt noch im Anzug hereinspaziert und den Zuschauern Kochtipps gibt, ist die Farce perfekt.

    Tausche Fahrrad gegen Fisch und die „Costa de Stockholm“ gegen die „Playa de Malmö“. Sveriges Järnvägen , die schwedische Bahn, hat sich kreativ verausgabt, um den Urlaub im eigenen Land zu

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