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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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sollen etwas Deutsches kochen, forderten die Schweden unisono. Dabei sind Caro und ich vollkommen schwedisch, was das Kochen anbelangt – das heißt: Der Herd bleibt kalt. Wenn uns der Hunger plagt, genehmigen wir uns ein dagens rätt , ein Mittagessen zur Wahl, zu dem ein Getränk, Salat, mehrere Brotsorten, Kaffee und Wasser gehören und das meist um die sechs Euro kostet. Angesichts der Lebensmittelpreise, Qualität und Zeitersparnis ein echtes Schnäppchen, finden wir.
    Aber gut. Wir kochen. Wir kochen deutsch. Zuerst aber grübeln wir. Currywurst, Spätzle, Obatzda, Pinkel, Sauerkraut, Schweinebraten, Apfelstrudel? Was ist deutsch, deutsch füralle Deutschen und für alle Schweden? Caro und ich liegen uns bei der Debatte ständig in den Haaren, weil sie mein Essen österreichisch findet und sie kochen will wie eine Tschechin. Wir vertagen die Entscheidung.
    Wie ein Geschenk des Himmels erreicht mich da das Geschenk der Sällströms. Ich bin gerührt, dass Lars’ Eltern überhaupt an mich gedacht haben – und sich auch noch daran erinnern konnten, dass ich zwischen all den Schnapsliedern bei den Landpartien ein Loblied auf die schwedischen Pilze und Beeren angestimmt hatte. Die Früchte des Waldes sind hier oben einfach irrsinnig groß, geschmacksintensiv und vielfältig. Im Paket finde ich einen Riesenschwung sorgsam eingewickelter karljohan , Steinpilze, die Elisabet und Johan gesammelt haben. Sie müssen Tage damit zugebracht haben. An eine Pilzbürste sind Glückwünsche und Rezeptvorschläge geheftet, die auch auf die Blaubeeren, Himbeeren, Moltebeeren, Preiselbeeren und Stachelbeeren abgestimmt sind, die sich darunter in Tupperboxen stapeln. Toppen!
    Damit löst sich die Essensfrage. Ein Großteil der Beeren wird zu klassischem paj verbacken oder in eine pannkakstårta eingebaut, einen Pfannkuchenberg, den ich aus Nadines Pettersson-och-Findus -Büchern kenne. Zu den Pilzen machen wir Semmelknödel, Kartoffelpuffer, Schnitzel und eine Reihe Sommersalate. Am Mittag mischen sich unsere Gäste ihre Teller so, wie es ihnen beliebt. Glücklicherweise sind Schweden ganz vernarrt auf kuriose kulinarische Eigenkreationen am Buffet.
    Irgendwann beim Geburtstagsschmaus jubelt mir Lars einen Briefumschlag unter, auf dem ein Rabe einen Zylinder trägt. „Hat das was mit Bertil zu tun?“ Ich muss lachen. Der schrullige Onkel hatte mich vor wenigen Tagen angerufen, kommentarlos Ja, må hon leva gesungen und aufgelegt.
    Doch ich liege falsch. Lars hat mir den heutigen Abend geschenkt und die Freunde eingeweiht. Wir spazierenhinunter nach Gröna Lund, dem „grünen Hain“ auf dem ohnehin schon grünen Djurgården. Er meint wohl, mit dem ältesten Rummel Schwedens könne er das Herz einer Frau erobern, die auf die dreißig zugeht – und Recht hat er. Seit ich gelandet bin, zieht es mich zu dem schmalen Turm, der in Stockholms Silhouette rötlich blinkt. Bislang wollte mich keiner beim Fritt fall tilt („Freien Fall in den Tod“) begleiten. Doch heute herrscht Gruppenzwang.

    Der liebevoll Grönan genannte Volkspark lockt selbst die Stars des Musikgeschäfts an. Auf der stora scen , der Freilichtbühne, hat schon Louis Armstrong gesungen und gespielt, Paul McCartney, Ella Fitzgerald, Ray Charles und Eric Clapton. Den Besucherrekord hält Bob Marley, für den sich 1980 in mir unerklärlicher Weise 32 000 Besucher zwischen die Fahrgeschäfte des nicht sonderlich großen Tivoli gequetscht haben. Den sagenumwobensten Auftritt aber lieferte Jimi Hendrix, der 1967 hier spielte und spielte und wegen der atemberaubenden Atmosphäre gar nicht mehr aufhören wollte. Weil Schweden aber Schweden sind und Gleichberechtigung ein unverletzliches Gut ist, hatte der damalige Rummel-Chef Ove bald Mitleid mit den Besuchern, die nicht oder nicht nur wegen Hendrix gekommen waren. Um Achterbahnen oder Karusselle fahren zu dürfen, mussten sie sich bis zum Ende des Konzerts gedulden. Schließlich entschied Ove: „Gröna Lund war immer für alle da!“ – und zog dem legendärsten Gitarristen aller Zeiten einfach den Stecker.
    Weil Grönan für alle da ist, gibt es die Fahrgeschäfte in jeder Größe, für jedes Alter. Als Vorbereitung für den Fritt fall tilt stürzen wir uns also von den kinder- und jugendfreundlichen Versionen. Noch größere Faszination aber üben die Achterbahnen auf mich aus, da die Gerüste der verschiedenen Fahrgeschäfte waghalsig ineinander verschlungen sind, was der Konstruktion in etwa die Übersichtlichkeit

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