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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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einesWollknäuels verleiht. Ich muss wissen, ob das funktioniert und ob ich es überlebe.
    Beim Einsteigen werden wir von einem Sicherheitsmann gebeten, unsere Wertsachen auf eine Plattform zu legen, auf die wirklich jeder Grönan -Gast Zugriff hat. Ich gucke skeptisch. „Sonst purzelt dir womöglich oben dein Handy aus der Tasche, und dann ist es weg“, versucht er mir dieses eigenartige Sicherheitskonzept nahezubringen.
    Analog dazu liegen in den Cafés der Stadt auch gerne die dicksten Portemonnaies auf verwaisten Tischen direkt am Ausgang; ihre Besitzer könnten sie ja sonst bei ihren halbstündigen Telefonaten versehentlich in der Toilette versenken. Die Einzige, die beim Hinschauen stellvertretend Ängste aussteht, bin ich. Hinschauen ist im Fall der Achterbahnfahrt nur sehr eingeschränkt möglich, doch wider Erwarten bleibt alles, wo es ist, und ich schäme mich wieder ein bisschen für mein unbegründetes Misstrauen.
    Peinlich ist es dann auch, dass Lars und ich mit unserer Wanne im Wasserkanal des kitschigen Herzblatt-Tunnels stecken bleiben. Anschließend fliegen wir aber im Kettenkarussell federleicht übers Wasser, drehen uns in Kaffeetassen zu Wiener Walzer und erholen uns vor der Freilichtbühne, wo die Kanonen-Lady durch die Luft geschossen wird. Dort sammeln sich während unserer fika immer mehr Leute; Männer hieven Bässe aufs Podest.
    „Spielt noch wer?“, frage ich Lars. Der nickt und meint lapidar: „Absolut. Pelle!“ Der Pelle vom Mosebacke-Kickertisch? Der, den ich vom Sehen kannte, aber partout nicht zuordnen konnte?
    So richtig legt sich mein Schalter erst um, als mir Caro noch einmal erklärt, was am Abend geboten ist. The Hives , die schwedischen Alternativ-Rocker, geben ein Konzert, und Pelle ist „Howlin’ Pelle“, der Sänger der Band. Lars kennt ihn aus Fagersta, gleicher Jahrgang eben, die Schule …
    Mehr ist aus ihm nicht herauszubekommen, da in dem Moment der rote Schriftzug der Gruppe auf dem Bühnenhintergrund erscheint und die fünf Musiker unter riesigem Jubel die stora scen betreten. Statt des üblichen Schwarz-Weiß-Gemischs tragen sie diesmal komplett weiße Maßanzüge. „Die sind besonders luftig“, erklärt Pelle, der das Mikro wie ein Lasso durch die Luft schwingt und sich mit einem Schluck Wasser erfrischt, den er in die Luft prustet und mit dem Gesicht auffängt.
    „Feiert den Sommer mit uns, feiert Geburtstage, feiert das Leben!“, ruft er und legt los mit „Hey Little World“. Lars umarmt mich von hinten und flüstert mir „Happy birthday!“ ins Ohr. Ich bin selig. Pelles tiefe Sprechstimme vom Mosebacken weicht einem heiseren Gesang, und auch mit seinem Körpereinsatz und den dicken Augenbrauen erinnert er mich irgendwie an Mick Jagger. Den Status der besten Liveband der Welt haben sich die Hives wahrlich verdient. Immer wenn Pelle auf einen der Verstärker hüpft, hüpfe ich ein bisschen mit.
    Später am Ausgang, als ich mir gerade denke, dass mich in diesem Land, wo jeder jeden kennt, nichts mehr wundern kann, beginnt mich eine Gröna-Lund-Figur zu nerven. Immer wieder drückt ein als Schlafmütze verkleideter Mann sein Kissen auf meine Schultern und beginnt zu schnarchen. Da er sich nicht abschütteln lässt, stellt sich die Gruppe vor mich und fragt ihn, ob es nicht langsam mal gut sei. Aber – das kann doch nicht sein! Am brüchigen Schwedisch erkenne ich unter dem hellblauen Strampelanzug und der roten Clownnase den Engländer aus meinem Sprachkurs. Der ist hin und weg von unserer „schicksalhaften Begegnung“ und ruft, ich müsse sofort in die deutsche Kneipe mitkommen, wo „unser Kollege, der Jamaikaner“ als Barkeeper arbeitet.
    Gröna Lund scheint ein heißes Pflaster für alle Menschen zu sein, die einen Sommerjob brauchen und dem Wahnsinnnicht abgeneigt sind. Wir folgen der Schlafmütze so lange, bis wir vor einem Wirtshaus mit bayerischen Flaggen stehen, das einen ausgeprägten Schwarzwälder Anstrich hat, mit Rösti wirbt und noch dazu Tyrol heißt. Ich weigere mich, auch nur einen Fuß in diese Verhunzung meiner Heimatkultur zu setzen.
    Stattdessen nehmen wir die Djurgårdsfärjan , ein kostenloses Wassertaxi, das uns an den Inseln Kastell- und Skeppsholmen vorbei nach Slussen bringt und damit einen Riesenumweg über den Asphalt erspart. Vom 25. Stock in der Bar Och himlen därtill („Und den Himmel dazu“) über dem Kaufhaus Skrappan blicke ich dann hinunter auf Stockholm. Ich sehe eine quirlige Stadt mit tausenden Lichtern,

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