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Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Titel: Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Kanne frischen Kaffee kochen?«
    »Wenn Sie eine neue Hose anziehen«, sagte der Kellner freundlich und marschierte von dannen. Am Broadway hatte eben jeder seinen Auftritt.
    Graham saß eine Minute lang schweigend da. Neal kannte den Trick. Graham wollte, daß er die Fragen stellte. Ach, leck mich am Arsch, dachte er. Er hat mich seit acht Monaten nicht angerufen.
    »Du verläßt morgen die Stadt«, sagte Graham schließlich und wischte sich den Ketchup vom Mund.
    »Einen Teufel werd ich tun.«
    »Nach Providence. Rhode Island.«
    »Ich weiß, wo das ist. Aber ich werde nicht dorthin fahren.«
    Graham grinste. »Was? Bist du beleidigt, weil wir nicht angerufen haben? Immerhin wird deine Miete bezahlt, College-Boy.«
    »Wie ist dein Hamburger?«
    »Vielleicht könnten sie ihn nächstes Mal braten. Der Chef will dich sehen.«
    »Levine?«
    »Lebt Levine in Providence?«
    »So oft, wie ich ihn sehe, könnte er auch in Afghanistan leben.«
    »Hör mir mal gut zu. Levine würde dich am liebsten nie Wiedersehen. Levine würde dich am liebsten zum Wasserholen in die Wüste schicken. Ich meine den Chef. Von der Bank. In Providence, Rhode Island.«
    »Aber ich habe morgen eine Prüfung.«
    »Jetzt nicht mehr.«
    »Ich kann mir das dieses Semester nicht leisten, Graham.«
    »Dein Professor hat Verständnis dafür. Er ist ein Freund der Familie.«
    Graham grinste ihn an. Graham war ein gemeiner kleiner Kobold, befand Neal. Ein kleiner, mondgesichtiger, mittelalter Quatschkopf mit dünnem Haar, glänzend blauen Augen und dem fiesesten Grinsen aller Zeiten.
    »Wie du meinst, Dad.«
    »Du bist ein guter Junge.«

Teil I
Klatschen mit einer Hand
     
1
     
    Neal Carey war elf Jahre alt und total pleite. Für die meisten Elfjährigen ist das nicht besonders tragisch, aber Neal lebte weitgehend von seinem eigenen Geld, da sein Vater noch nie einen größeren Auftritt gehabt hatte und seine Mutter ein teures Hobby pflegte, das mehr Geld auffraß, als sie jemals nach Hause brachte. Falls sie überhaupt in der Lage war, das Appartement zu verlassen. Als Neal sich eines Sommernachmittags zu Meg’s hereinschlich, war er genaugenommen bei der Arbeit. Er war ein dürres, dreckiges Kind, wie tausend andere in der West Side. An Neal war nichts Besonderes, und gerade das mochte er. In einer Menschenmenge untertauchen zu können, ist die wichtigste Gabe eines Taschendiebes.
    Auch das Meg’s war nichts Besonderes. Nur eine Bar mehr, in der die irischen Nachbarn Bier, Whiskey und manchmal Gin-Tonic tranken. McKeegan, der Mann hinter der Theke, hatte mit Meg das große Los gezogen.
    »Es gibt nichts Besseres, als eine Irin mit eigener Bar zu heiraten«, erzählte er an jenem Nachmittag Graham. »Freie Kost, Whiskey und Sie-wissen-schon-was, und alles was man dafür tun muß, ist hinter der Bar rumzustehen und mit anderen Säufern zu reden. Nichts für ungut; aber Sie wissen, was ich meine.«
    Auch Graham ging es gut. Vor ihm lag ein freier Nachmittag, er verdiente gutes Geld, und er hockte gemütlich auf einem Stuhl vor einem kühlen Glas Bier. Für einen aus der Delancey Street hatte das Leben wenig Steigerung zu bieten, und das wußte er auch.
    Neal machte sich klein und kniete sich direkt neben Graham unter die Bar. Er konnte das Baseballspiel hören, das die beiden Männer im Fernsehen verfolgten. Er wartete, bis er das Krachen eines Abschlags und den Jubel der Menge vernahm. Mit den Jahren hatte er herausgefunden, daß die Männer an der Bar sich nach vorne lehnen, wenn ein home run geschlagen wird. Dieser Kerl tat jedenfalls, was er sollte, und Neal faßte mit Daumen und Zeigefinger das obere Ende der Geldbörse, die der Mann in seiner hinteren Hosentasche stecken hatte. Als er sich zurücklehnte, hopste das Portemonnaie dem Jungen in die Hand, als wollte es sagen: »Nimm mich mit nach Hause.«
    Etwas zu stehlen, ist relativ leicht. Abzuhauen hingegen ist eine besondere Kunst. Ein Dieb hat im Grunde nur zwei Möglichkeiten: bluffen oder rennen. Er muß sich und sein Können, seine Stärken und Schwächen, einschätzen können. Ein guter Dieb ist in Sachen Selbsteinschätzung den meisten Menschen überlegen. Instinktiv hatte Neal sich bereits umgesehen. Er wußte, daß er sich in einer irischen Kneipe mit zwei relativ nüchternen Männern befand, daß er elf Jahre alt war und daß er keine Chance hätte, die beiden auszutricksen. Außerdem wußte er, daß keiner dieser alten Säcke auch nur den Hauch einer Chance hätte, ihn bei einem

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