Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
empfand. Aber nicht vor seinem Fahrer, der bestimmt über jede Nuance ihres Benehmens berichten würde. Stattdessen legte sie den Kopf nach hinten und schloss die Augen. Phase eins war geschafft. Und es war besser gegangen, als sie zu hoffen gewagt hatte.
    Vielleicht konnte sie diese Aufgabe doch bewältigen.
    Vielleicht konnte sie sich wirklich in einen anderen Menschen hineinversetzen.
     
    Brigadier Marijke van Hasselt kam mit einem Pappbecher Kaffee und einer Tüte Smoutebollen, dem runden, in schwimmendem Fett gebackenen, mit Puderzucker bestreuten Gebäck, das ihr einziges Zugeständnis an süße, sündige Kalorienbomben war, in die Ermittlungszentrale der Polizeidirektion Regio Leiden. Kohlenhydrate, Koffein und Zucker, nur so konnte man den Tag beginnen.
    Obwohl sie früh dran war, war Tom Brucke ihr um einiges voraus. Er saß stirnrunzelnd über einen Stoß Berichte gebeugt, und sein lockiges, braunes Haar war schon von dem ständigen Daranherumzupfen zerzaust. Er sah bei dem Geräusch ihrer Schritte auf, sein jungenhaftes Gesicht war angespannt und müde, und er hatte schwere Falten unter den Augen. »He, Marijke«, sagte er. »Ich fress ’n Besen, wenn wir für diesen Fall ’n Täter finden.«
    Sie traf eine spontane Entscheidung. Zwei Köpfe konnten, wie sie schon bewiesen hatte, sehr viel mehr ausrichten als einer. »Komisch, Tom, aber gestern Abend hatte ich dazu eine Idee.« Sie schob ihren Stuhl ans Ende seines Schreibtischs und zog einen Fuß unter sich auf die Sitzfläche.
    Tom schlang eine Locke um seinen Zeigefinger. »Ich seh so viele Sackgassen vor mir, dass ich mir fast überlege, ob wir eine Hellseherin fragen sollten«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber dieser Fall macht mich ganz wirr im Kopf.«
    »Ich wache manchmal nachts auf und denke, ich ertrinke«, gab Marijke zu.
    Tom prustete. »Ertrinken in einem Meer von Papier«, sagte er und wies mit der Hand auf die Stöße von Berichten auf seinem Schreibtisch. »Da wir gerade davon reden, dass man für die Arbeit lebt: De Groot scheint in jedem Komitee gewesen zu sein, für das er ernannt werden konnte. Auch eine jährliche Wochenendkonferenz für Psychologen aus seinem Umkreis hat er organisiert. ›Psychodynamik des emotionalen Missbrauchs‹, was immer das heißen soll. Das Resultat ist, dass ihn wohl so gut wie jeder kannte. Es ist ein Albtraum. Was ist also deine tolle Idee?«
    »Ich sagte nicht, dass sie toll ist, aber zumindest ist es etwas Neues, das man probieren könnte. Wir glauben doch beide, dass es hier um einen Mord an einem Fremden geht, oder?«
    »Es gibt nichts im Leben des Opfers, was dagegen spricht. Andererseits gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass jemand eingebrochen ist. Das Wahrscheinlichste ist aber wohl: Er kannte seinen Mörder nicht.«
    Marijke hob den Deckel von ihrem Kaffee und nahm einen Schluck. »Aus allem, was ich gelesen habe, geht hervor, dass Leute, die so töten – keine ersichtliche Beziehung zum Opfer, Mord mit sexuellem Hintergrund –, nicht bei einem Toten aufhören. Einverstanden?«
    »Oh ja, ich glaube, wir haben alle das Gefühl, dass er wieder morden wird. Besonders weil wir nicht das Geringste tun können, um ihn zu stoppen«, sagte Tom pessimistisch. »Sind das Smoutebollen, was du da hast?« Er zeigte auf ihre Tüte.
    »Nimm dir.« Sie schob ihm die Tüte hinüber. »Dann kann ich mich etwas zurückhalten.« Tom machte die Tüte auf und nahm eines der Gebäckstückchen heraus. Puderzucker fiel auf sein hellblaues Hemd, und er wischte ihn ungeduldig mit der freien Hand weg. »Aber ich habe gedacht, was wäre, wenn dies nicht der Anfang seiner Serie wäre?«
    Tom hörte plötzlich auf zu kauen und schluckte heftig. »Du meinst, du glaubst, er hat es vorher schon einmal getan?«
    Marijke zuckte mit den Schultern. »Es sieht nicht wie die Tat eines Anfängers aus. Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, er macht das, oder etwas sehr Ähnliches, schon eine ganze Weile.«
    Brucke schüttelte ungläubig den Kopf. »Wir hätten davon gehört. Das Schamhaar abzuziehen kommt ja nicht jeden Tag vor, Marijke.«
    »Wir hätten es vielleicht nicht erfahren, wenn es in einem anderen Zuständigkeitsbereich passiert wäre. Sagen wir, in Frankreich. Oder in Deutschland.«
    Tom kratzte sich am Kopf. »Da hast du schon Recht. Aber daran können wir kaum etwas ändern.«
    »Doch. Es gibt ja Europol.«
    Tom prustete. »Das ist doch nur ein verdammter Haufen Bürohengste.«
    »Vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher