Ein kalter Strom
das. Leute, die zu vertrauensselig sind, reden oft zu freiheraus, was in unserer Branche nicht klug ist. Wissen Sie was, rufen Sie mich doch morgen mal an. Wir können uns treffen und Dinge von beiderseitigem Interesse besprechen.«
Er hob die Augenbrauen. »Ich glaube nicht, dass wir beiderseitige Interessen haben, jedenfalls keine geschäftlichen. Aber ich glaube, ich würde Sie gern wiedersehen.«
Carol schüttelte den Kopf. »Für mich ist dies eine Geschäftsreise. Ich kann meine Zeit nicht mit privaten Verpflichtungen verschwenden.«
»Das ist schade«, sagte er jetzt mit zurückhaltendem Gesichtsausdruck.
Der Applaus verklang, und sie bückte sich nach ihrem Abendtäschchen. »Schauen Sie, Colin hatte Probleme mit seiner Seite Ihres gemeinsamen Unternehmens. Er versprach immer viel, aber er konnte seine Versprechen oft nicht einlösen. Wahrscheinlich ist er deshalb jetzt tot. Die Leute, die Sie ihm geschickt haben, erwarteten, dass er ihnen Pässe verschaffen würde. Dafür hatten sie schließlich so kräftig geblutet. Aber er hatte niemanden, der das zuverlässig liefern konnte. Deshalb sorgte er immer dafür, dass sie erwischt wurden.«
Tadeusz’ Augenbrauen hoben sich leicht. »Soll mir das etwas sagen?«
»Ich weiß nicht. Ich habe keine Ahnung, ob Ihnen bekannt war, wie er mit den Illegalen verfuhr, nachdem Sie sie weitergaben, aber er trieb ein gefährliches Spiel. Schließlich musste die Einwanderungsbehörde doch seine Verbindung zu all den kleinen Ausbeutungsbetrieben entdecken, die immer wieder durchsucht wurden.« Carol warf ihm einen fragenden Blick zu. »Besonders da die Razzien von Colin selbst geplant wurden, was immer er auch Gegenteiliges behauptet haben mag.«
Sie sah, dass sie ihn jetzt in ihren Bann gezogen hatte. Er mochte noch so herablassend lächeln, doch in seinem Blick lag Verwirrung, und er wollte nicht, dass sie abbrach.
»Ich bin da ganz anders«, fuhr sie fort. »Ich verspreche nie etwas, was ich nicht liefern kann.« Als die Beleuchtung im Haus anging, öffnete sie ihre Abendtasche und nahm das heraus, was sie für ihre geheime Trumpfkarte hielt. Es war ein italienischer Pass. Als sie Morgan gefragt hatte, ob er echt oder gefälscht sei, hatte er nur gelächelt und gesagt: »Sie werden deshalb keine Schwierigkeiten bekommen. Welche Nachforschungen Radecki auch anstellen mag, es wird alles glatt gehen.«
Sie hielt ihm den Pass hin. »Ein Akt des Vertrauens. Ich kann so viele von diesen bekommen, wie ich brauche, in vernünftigem Rahmen. Sie bringen mir Leute, die den Preis zahlen können, und ich garantiere, dass ich meinen Teil der Abmachung einhalten werde.«
Endlich war seine Neugier stärker als die Vorsicht. Er nahm den Pass und schlug ihn auf der Seite mit dem Bild auf. Sein eigenes Gesicht mit einem leichten Lächeln auf den Lippen sah ihn an. Der Pass wies ihn als Tadeo Radice aus, geboren in Triest. Er studierte ihn aufmerksam und bewegte ihn hin und her, damit das Licht darauf fiel. Dann blätterte er zum Anfang zurück und betrachtete alle Seiten. Endlich sah er Carol mit ernstem Blick an. »Woher haben Sie das Foto?«
»Das war nicht schwer. Eine Zeitschrift hat letztes Jahr ein Interview mit Ihnen gemacht, erinnern Sie sich? Als Teil einer Serie über Berliner Geschäftsleute, die die Gelegenheit ergriffen, sich nach der Wiedervereinigung ein neues Imperium aufzubauen. Ich habe es aus ihrem Online-Archiv geholt und eines der Bilder verkleinert. Also, morgen? Rufen Sie mich am Vormittag an, ja?« Sie suchte in ihrer Tasche und gab ihm eine Karte, auf der einfach ihr Name und ihre Mobiltelefonnummer standen. »Ich meine wirklich, wir sollten miteinander sprechen.« Mit ihrem strahlendsten Lächeln gab sie ihm die Karte und sah wieder das Wechselspiel der Gefühle in seinen Augen.
Er hielt ihr den Pass hin. »Sehr interessant.«
Carol schüttelte den Kopf. »Ich brauche ihn nicht. Behalten Sie ihn. Man weiß nie, wann man ihn verwenden kann.« Sie stand auf und zog ihr Kleid mit einer bewusst verführerischen Geste über den Hüften zurecht. »Rufen Sie mich an«, sagte sie und ging auf die Tür zu. Als sie schon den Griff in der Hand hatte, drehte sie sich noch einmal um. »Andernfalls werden Sie mich nie wiedersehen.«
Als Carol auf den Flur hinaustrat, wurde sie sich wieder ihres Körpers bewusst. Der Adrenalinspiegel, der in der Loge ihre Selbstbeherrschung aufrechterhalten hatte, begann jetzt abzusinken, sie fühlte sich erschöpft, und ihre Knie
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