Ein kalter Strom
lächelnd an. »Ich glaube, jeder, der einen anderen Menschen wirklich liebt, hat schreckliche, schuldhafte Vorstellungen, wie es wäre, wenn der oder die Geliebte sterben würde. Ich glaube, das ist sehr verbreitet, wahrscheinlich ganz natürlich. Aber es gibt nichts, was einen auf die Wirklichkeit vorbereitet. Alle Sicherheit verschwindet. Wenn einem das geschehen kann, dann kann einfach alles passieren. Es ist, als verlöre man den Halt, mit dem man in der Wirklichkeit verankert ist.«
»Es tut mir so Leid«, sagte sie. »Und Sie sagen, ich bin Katerina sehr ähnlich?«
Er kniff die Augen zu. »Ja. Sie könnten ihre Schwester sein.«
»Kein Wunder, dass Sie fast ausgeflippt sind, als Sie mich gestern Abend gesehen haben«, sagte Carol leise. »Ich hatte keine Ahnung, Tadzio. Sie müssen mir glauben, ich hatte keine Ahnung.«
»Warum sollten Sie? Sie konnten es ja nicht wissen. Colin ist Katerina nie begegnet, er hätte es Ihnen nicht sagen können.« Er atmete tief und langsam durch. »Es tut mir Leid. Als ich vorschlug, dass wir uns besser kennen lernen sollten, hatte ich mir das nicht so vorgestellt.«
»Ja, das ist mir klar.«
Bevor sie weitersprechen konnte, kam der Kellner mit ihren Getränken. Carol war nicht daran gewöhnt, mitten am Tag Scotch zu trinken, aber Caroline Jackson würde nach Tadeusz’ Bombe eine Stärkung brauchen, und so nahm sie gleich einen gesunden Schluck.
Tadeusz nippte an seinem Cognac und lächelte ihr müde zu. »Jetzt wissen Sie also, was mir im Moment am wichtigsten ist. Erzählen Sie mir doch etwas über sich.«
Carol zuckte mit den Achseln. »Ich habe nichts zu sagen, was dem gleichkäme.«
»Ich will nicht, dass dies ein ernstes, betrübtes Treffen wird«, sagte er. »Wie ich schon sagte, glaube ich, wir können vielleicht miteinander Geschäfte machen, aber ich muss Sie besser einschätzen können, bevor ich bereit bin, mich zu irgendetwas zu verpflichten. Also, erzählen Sie von sich.« Er hob einen Finger. »Aber lassen Sie uns vorher etwas zu essen bestellen.«
Sie studierten die Speisekarte, und Carol bat ihn, etwas zu empfehlen. Sie entschied sich für ein traditionelles deutsches Fischgericht, und Tadeusz bestellte Steak. Als der Kellner den Tisch verließ, hatte Tadeusz sich wieder gefasst. »Okay«, sagte er. »Erzählen Sie mir von Caroline Jackson.«
Sie hob ihr Glas und stieß mit ihm an. »Es war einmal …«, sagte sie und verzog einen Mundwinkel zu einem scherzhaften Lächeln. Schließlich erzählte sie ja wirklich eine Geschichte. Und auf jeden Fall musste sie sehr überzeugend klingen.
Kapitel 24
P etra kam mit einem Rucksack über der Schulter in den Wellnessclub. Dass sie diesen Ort als Treffpunkt ausgesucht hatte, war eine ihrer besten Ideen gewesen. Die Mitgliedschaft war ab mindestens drei Monaten möglich, und sie war entschlossen, sie voll auszuschöpfen. Eine Stunde hatte sie schon gleich am Morgen im gut ausgestatteten Trainingsraum verbracht. Plesch hatte sie gesagt, sie wolle dort vorbeigehen, um die Sauna für die nachmittägliche Nachbesprechung zu buchen, aber sie nahm sich genug Zeit, um alle Geräte nutzen zu können. Dieser Job als Verbindungsperson ließ sie auf den Geschmack am angenehmen Leben kommen. Gestern Abend die Oper, Lunch in einem Restaurant, das weit über ihrer Gehaltsstufe lag, und die Möglichkeit, einen der besten Freizeitclubs der Stadt zu nutzen. All dies und die beste Chance, Radecki zu überführen.
Aber natürlich war es nicht nur Spaß und Spiel. Als Carol ihr per E-Mail mitgeteilt hatte, wo sie sich zum Lunch mit Radecki traf, musste Petra all ihren Charme einsetzen, um in einem solchen Edelschuppen in letzter Minute noch einen Tisch zu bekommen. Und noch schlimmer war es, dass sie zur Tarnung den Hai hatte mitnehmen müssen. Er war das einzige Mitglied ihres Teams, das nicht zu beschäftigt war, um zum Mittagessen auszugehen. Es war wirklich schade, dass Marijke keine Berliner Polizistin war, dachte sie bedauernd und nicht zum ersten Mal. Der Hai hatte sie mit dummen Geschichten darüber gelangweilt, wie er versuchte, an Informationen über Marlene Krebs und ihre vermisste Tochter heranzukommen, aber wenigstens hatte sie ihn ausblenden und dabei ein Auge auf Carol haben können. Und als er vorgeschlagen hatte, sie auch am Nachmittag zu begleiten, hatte sie ihn weggeschickt, damit er wieder seiner Aufgabe nachginge. Sie vermutete, dass es nicht viele Leute gab, denen Darko Krasic Marlenes Kind anvertrauen
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