Ein kalter Strom
konnte, war dies hier eine verschrobene und verzerrte Sicht von de Groots Persönlichkeit. Aber der Stil entsprach eindeutig der therapeutischen Fachsprache und bestätigte Tonys Schlussfolgerung, dass der Täter sich zumindest die Grundbegriffe psychologischer Terminologie angeeignet hatte.
Sie konnte es kaum erwarten, bis die Rechtsmedizin sich damit befasste. Die Seite schien aus einem Computerdrucker zu stammen, aber vielleicht gab es über dieses anonyme Merkmal hinaus Spuren, die zu positiven Ermittlungen führten. Der Ölfleck auf dem Hefter zum Beispiel. Zum ersten Mal seit Tagen wusste Marijke, dass sie ein konkretes Beweisstück in Händen hielt.
Als sie zum Auto hinuntereilte, fluchte sie leise vor sich hin. Sie hätte die Akten früher durchsuchen lassen sollen. Sie hatte jemanden beauftragt, die persönlichen Papiere zu durchforsten, aber de Groot war kein praktizierender Therapeut gewesen, der Gedanke war ihr nicht gekommen, dass seine dienstlichen Unterlagen irgendwelche Hinweise in Bezug auf seine Ermordung enthalten könnten. Dieses Versäumnis bewies den Wert gemeinsam zusammengetragener Informationen.
Sie wünschte, sie hätte diese Entdeckung selbst gemacht. Aber wenigstens hatte sie endlich etwas gefunden, was Tony eine spezifische Einsicht in die Psyche des Mörders ermöglichen konnte. Es war besser als nichts, fand sie.
Darko Krasic saß auf dem Fahrersitz seines Mercedes, futterte beharrlich einen großen Becher gesalzenes Popcorn mit Butter und starrte durch den Regen auf einen kleinen See in einem Außenbezirk von Potsdam hinaus. Die Beifahrertür ging auf, und ein großer Mann setzte sich auf den Sitz, nahm seine Stoffmütze vom Kopf und schüttelte die Regentropfen ab. Er war gepflegt in Chinos und eine Windjacke gekleidet, die oben links auf der Brust das Designerlogo einer Sportbekleidungsfirma trug. Er sah so bekümmert drein, als sei er überzeugt, dass die Welt für ihn nur die Aussicht auf Enttäuschungen bereithielt. »Beschissenes Dreckswetter«, sagte er.
»In Potsdam ist immer beschissenes Dreckswetter«, sagte Krasic. »In Berlin kann die Sonne scheinen, aber hier draußen ist es grau und trostlos. Also, Karl, was hast du für mich?«
Der Kripobeamte Karl Hauser lächelte boshaft. »Das heißt also, Schluss mit banalem Geplauder, was, Darko?«
»Karl, wir sind nicht befreundet, und wir werden nie Freunde werden. Du wirst von uns bezahlt, das ist alles. Was sollen die Flausen?« Krasic ließ das Fenster herunter und schüttete den Rest des Popcorns auf den Boden. Selbst im dichten Regen entdeckten die Wasservögel den Schmaus und liefen auf den Wagen zu.
»Wenn du schon von Geld redest, habe ich da was, was deinem Boss, glaub ich, eine Extraprämie wert sein könnte.«
»Tatsächlich?«
Alter Raffzahn
, dachte Krasic. »Lass mich erst mal hören.«
»Das BMW -Motorrad – ich hab mich noch mal gründlich damit beschäftigt.«
»Das können wir Steuerzahler ja auch von dir erwarten.«
Karl warf ihm einen finsteren Blick zu. »Pass auf, Darko, was ich für dich gemacht hab, geht weit über meine Pflicht hinaus. Katerina Baslers Tod war als verhängnisvoller Unfall bereits zu den Akten gelegt. Wir haben Wichtigeres zu tun.«
»Schon gut, Karl, wir wissen deine Arbeit zu schätzen. Und du weißt ja, du bist bisher immer gut entlohnt worden. Also, du hast dich gründlich damit beschäftigt …«
»Richtig. Ich dachte, das Motorrad könnte dabei ja auch beschädigt worden sein. Zwei der Zeugen sagten, sie meinten, es habe den Kotflügel des Autos gestreift. Und mir ist eingefallen, dass der Motorradfahrer, wenn er eigentlich mit seiner Maschine nicht in Berlin herumkutschieren sollte, sie vielleicht hier reparieren lassen würde. Also hab ich alle kleinen, obskuren Reparaturwerkstätten durchgecheckt, die auf Motorräder spezialisiert sind. Und das war eine Mordsarbeit.« Er hielt inne wie ein Kind, das ein Lob erwartet.
»Hast du was rausgekriegt?«, verlangte Krasic zu wissen, der nicht bereit war, ihm noch weiter entgegenzukommen. Karl Hauser war zwar nützlich, aber letztendlich war er doch nur ein dreckiger Bulle, und Krasic hatte nichts übrig für Leute, die sich nicht an ihre Verpflichtungen hielten.
»Nach längerer Zeit, ja. Ich habe zwei Mechaniker in Lichtenberg draußen gefunden. Die haben die Vordergabel an einem Motorrad ausgewechselt, auf das diese Beschreibung passt. Sie konnten sich aus zwei Gründen daran erinnern. Erstens dauerte es eine
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