Ein kalter Strom
hatte dem Schatten seines Großvaters gezeigt, wer jetzt der Herr war. Aber danach war er bei der Hure gescheitert, die er sich in Köln gesucht hatte. Er hatte keinen hochgekriegt, und als er es dann schließlich doch schaffte, kam er nicht. Diese verdammte Calvet hatte ihn stärker machen sollen, ihn mit Licht und Kraft erfüllen, aber stattdessen sah er ihr Bild immer wieder vor seinen fest zusammengekniffenen Augen, es lenkte ihn ab und verdarb ihm die Lust. Er hatte sich bei der Nutte in Köln so unbrauchbar und kläglich gefühlt wie in den Tagen, bevor er begriffen hatte, was er mit seinem Leben anfangen sollte.
Als er hinterher zurückfuhr, wurde ihm schwarz vor Augen, und sein Magen war voll kalter Galle. Was wäre, wenn er Unrecht hatte? Wenn der Spott des alten Mannes ihn in die falsche Richtung getrieben hatte? Er musste zugeben, jeder betrunkene Matrose hätte das Gleiche getan wie er. Er hatte seinen niedrigsten Instinkten nachgegeben und war genauso ein Vieh geworden wie die Kerle, die zu töten er sich geschworen hatte. Bevor er die Schlampe genommen hatte, sah er seine Mission klar vor sich, aber jetzt war in seinem Kopf ein Durcheinander wirrer Gedanken. Frauen – immer waren sie hinterhältig und zogen die Männer in den Dreck. Die Calvet hatte ihn nicht verdient, aber er war zu schwach gewesen und in die Falle getappt, die sie ihm mit dem Gedanken an den alten Mann gestellt hatte.
Und die Huren hatten ihn auch nicht verdient, aber wenigstens war ihre Verderbtheit ehrlich. Sie stellten sich der Welt nicht anders dar, als sie wirklich waren, im Gegensatz zu den Opfern, die er ausgesucht hatte.
Er hatte jämmerlich versagt, die Selbstkontrolle verloren und war von seinem Körper im Stich gelassen worden. Er hatte die Reinheit seiner Aufgabe verraten, und das durfte nie wieder passieren. Er musste es schaffen, dass es wieder hell in ihm wurde. Während das Wasser über seine vom Waschen gerötete Haut rann, wurde ihm klar, dass er sich nur wirklich reinigen konnte, wenn er zu seiner Mission zurückkehrte und sie richtig zu Ende brachte.
Wäre es doch bald so weit.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, Radecki mitten in ihrem Wohnzimmer stehen und sich umschauen zu sehen, als sei er noch nie hier gewesen. Er war zehn Minuten früher gekommen, und sie war noch nicht ganz fertig mit ihrem Make-up. Es schien unhöflich, ihn auf dem Gehweg auf und ab gehen zu lassen, so hatte Carol ihn heraufgebeten. Sie glaubte, Caroline hätte das bestimmt getan.
Jetzt stand sie vor dem Badezimmerspiegel und trug Eyeliner auf. Das Umständlichste an ihrer Rolle als Caroline war bis jetzt gewesen, dass sie ein viel komplizierteres Make-up tragen musste, als das, womit sie sich normalerweise zufrieden gab. Carol fand, das Leben sei zu kurz, um sich jeden Tag todschick zu machen. Aber Caroline wäre bestimmt ihr Aussehen zu wichtig, um ihr Make-up zu vernachlässigen.
»Diese Wohnungen sind wirklich ganz schön«, rief Tadeusz vom Wohnzimmer aus. »Geräumiger, als ich mir vorgestellt hatte.«
»Die Einrichtung ist auch nicht schlecht.«
»Ja. Ein bisschen einfallslos. Aber lieber so als grell und aufdringlich.«
»Es ist viel besser als ein Hotelzimmer«, sagte Carol. »Viel mehr Platz, und man ist ungestörter. Es kommt nicht alle fünf Minuten jemand vom Personal, der die Handtücher wechseln oder die Minibar auffüllen will.«
»Wie haben Sie es gefunden?«
Achtung, Carol, sagte sie sich. »Mein Reisebüro hat es für mich entdeckt. Die Angestellte hat jemanden von hier nachfragen und die Buchung für mich machen lassen. Sie weiß, was ich mag.« Als sie mit dem Eyeliner zufrieden war, griff sie zur Mascara.
»Sie reisen also viel?«
»Ich würde nicht sagen viel, aber ziemlich regelmäßig. Und dann habe ich es gerne bequem. Und Sie? Sind Sie oft auf Reisen?«
Seine Stimme kam näher. Er war zu höflich, um durch den Türspalt hineinzuspähen, aber es klang, als stünde er an der Wohnzimmertür. Das hieß, dass er nicht ihre Sachen in Augenschein nahm. Und das bestätigte wohl ihre Theorie, dass er die Durchsuchung selbst gemacht hatte. »Ich reise schon ziemlich viel innerhalb von Europa, aber meistens geschäftlich.«
»Sie kümmern sich also persönlich um die Geschäfte?«, fragte sie.
»Ich weiß gern genau, mit wem ich es zu tun habe. Aber das Tagesgeschäft überlasse ich normalerweise meiner rechten Hand, Darko Krasic. Ich hoffe, Sie werden ihn bald kennen lernen. Er ist ein verrückter
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