Ein kalter Strom
gab irgendwo da draußen zu viele »Spezialisten«, die nichts Besseres zu tun hatten, als Telefongespräche abzufangen. Ganz zu schweigen von den verschiedenen staatlichen Behörden, die ihre Bürger ständig genauso eifrig überwachten, wie sie es getan hatten, als sie noch von der Roten Gefahr umzingelt waren.
»Wir haben ein Problem«, sagte Krasic. »Wir müssen etwas besprechen. Wo finde ich dich?«
»Ich geh zu Fuß nach Hause. In fünf Minuten bin ich bei der Siegessäule.«
»Ich hole dich dort ab«, beendete Krasic den Anruf unvermittelt.
Tadeusz seufzte. Er blieb einen Augenblick stehen und sah durch einen Baum mit jungen Knospen zum Himmel hinauf. »Katerina«, sagte er leise, als spreche er tatsächlich zu seiner Geliebten. In solchen Momenten fragte er sich, ob die trostlose Leere, die sie hinterlassen hatte, jemals weichen würde. Gegenwärtig schien es mit jedem Tag nur schlimmer zu werden.
Er straffte die Schultern und ging mit großen Schritten auf das hoch aufragende Monument preußischer Siege zu, das Hitler vom ursprünglichen Standort wie auf eine Insel mitten in den Straßenverkehr hatte versetzen lassen, wo seine Höhe übermächtiger erschien. Die vergoldete, geflügelte Siegesgöttin oben auf der Säule glänzte über den Lichtern der Stadt wie ein Leuchtfeuer in Richtung Frankreich, ein trotziger Protest gegen die Niederlagen des letzten Jahrhunderts. Tadeusz blieb an der Ecke stehen. Krasic war noch nicht zu sehen, und er wollte nicht herumstehen und sich verdächtig machen. Vorsicht zahlte sich seiner Erfahrung nach stets aus. Er ging über die Straße zu der Säule hinüber, schlenderte darunter hin und her und tat so, als studiere er die kunstvollen Mosaiken zur Reichsgründung der Deutschen.
Das polnische Herz meiner Großmutter würde stehen bleiben, wenn sie mich hier sehen könnte,
dachte er.
Ich kann sie praktisch hören, wie sie mich anschreit: »Ich hab dich nicht aufgezogen, damit du der Prinz von Charlottenburg wirst.«
Bei diesem Gedanken trat ein sarkastisches Lächeln auf seine Lippen.
Ein dunkler Mercedes hielt am Gehweg, und die Lichthupe leuchtete kurz auf. Tadeusz ging über die Straße und stieg ein. »Tut mir Leid, dir den Abend zu verderben, Tadzio«, sagte Krasic. »Aber wie ich schon sagte, wir haben ein Problem.«
»Schon gut«, sagte Tadeusz, lehnte sich auf dem Sitz zurück und knöpfte seinen Mantel auf, während der Wagen die Bismarckstraße entlangfuhr. »Mein Abend ist mir von einem Scheißkerl mit einer BMW verdorben worden, nicht von dir. Also, was ist los?«
»Normalerweise würde ich dich wegen so etwas nicht belästigen, aber … Das Päckchen Heroin, das wir von den Chinesen bekommen haben. Erinnerst du dich?«
»Das werd ich ja wohl nicht vergessen. Ich hab mit der Ware schon lange genug zu tun. Was ist damit?«
»Sieht aus, als wäre da irgendein Mist drin. Im Bezirk SO 36 hat es vier tote Junkies gegeben, und nach dem, was ich gehört habe, sind noch sieben auf der Intensivstation.«
Tadeusz hob die Augenbrauen. Kreuzberg Ost, hier unter der alten DDR -Postleitzahl bekannt, war das Zentrum der städtischen Jugendkultur. Bars, Clubs und Lokale mit Livemusik sorgten dafür, dass in der Gegend um die Oranienstraße herum jede Nacht bis zum frühen Morgen viel los war. Es war auch das Viertel, wo besonders viele Türken wohnten, aber es gab wahrscheinlich mehr Straßendealer als Dönerstände in dem schmuddeligen, widerborstigen Stadtteil. »Seit wann kümmerst du dich einen Dreck um tote Junkies, Darko?«, fragte er.
Krasic hob ungeduldig die Schultern. »Sie sind mir scheißegal. Morgen stehen vier andere da und nehmen ihre Stelle ein. Die Sache ist die, Tadzio, dass sich niemand um
einen
toten Junkie kümmert. Aber wenn plötzlich vier auf dem Obduktionstisch liegen und es so aussieht, als würden noch welche nachkommen, müssen sogar die Bullen ein bisschen aufmerksam werden.«
»Wie kannst du sicher sein, dass unser Zeug sie umbringt? Wir sind nicht die Einzigen, die für die Straße liefern.«
»Ich hab mich umgehört. Die Toten haben alle Dealer gehabt, die ihre Ware von unserer Kette kriegen. Es wird Druck geben.«
»Wir haben schon öfter Druck gehabt«, sagte Tadeusz geduldig. »Was ist daran so Besonderes?«
Krasic ließ einen gereizten Laut hören. »Dass es nicht auf dem normalen Weg gekommen ist. Erinnerst du dich? Du hast es selbst an Kamal übergeben.«
Tadeusz runzelte die Stirn. Das hohle Gefühl in seinem Magen war
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