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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Biergarten und bestellte zwei Bier.
    Sie setzten sich in eine ruhige Ecke, die schwache Frühlingssonne war kaum warm genug, um im Freien zu sitzen. »Ich heiße Heinrich Holtz«, stellte er sich mit einem fragenden Blick vor. »Hat er je von mir gesprochen? Heini?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, nie.«
    Holtz atmete langsam aus. »Ich kann nicht sagen, dass mich das überrascht. Was wir gemeinsam erlebt haben, war nichts, worüber wir gern sprachen.« Er nippte bedächtig und langsam an seinem Bier wie jemand, der nur gelegentlich trinkt.
    Wer immer Holtz sein mochte, er gehörte offensichtlich nicht in die Welt der Frachtschiffer. Er war ein kleines, runzeliges Männchen, die schmalen Schultern waren nach vorn gebeugt, als blase ihm ständig ein kalter Wind entgegen. Seine wässrigen grauen Augen schauten aus vielen Falten hervor und wichen eher dem Blick aus, als das Gegenüber direkt anzusehen.
    »Von woher kannten Sie meinen Großvater?«, fragte er.
    Die Antwort und die Geschichte, die dazugehörte, veränderten sein Leben. Endlich verstand er, warum ihm die Kindheit zur Hölle gemacht wurde. Aber Wut kam in ihm auf, nicht Vergebung. Endlich sah er das Licht, endlich hatte er eine Bestimmung, die die eiskalte Klammer der Angst zerbrechen würde, die ihn so lange gelähmt und ihm alles geraubt hatte, was andere Menschen für selbstverständlich halten.
    Die Nacht in Heidelberg war einfach das nächste Stadium dieses Vorhabens gewesen. Er hatte alles peinlich genau überlegt, und da er das konnte, hatte er offensichtlich keine schwer wiegenden Fehler gemacht. Er hatte viel aus der ersten Tat gelernt, und es gab nur ein paar Dinge, die er in Zukunft anders machen würde.
    Alles plante er weit in die Zukunft voraus.
    Er warf den kleinen Kran an, der seinen glänzenden Golf vom Achterdeck der
Wilhelmina Rosen
auf die Kaistraße heben sollte. Dann sah er nach, ob alles wie geplant in seiner Tasche war: Notizblock, Kuli, Skalpell, Extraklingen, Klebeband, dünnes Seil und ein Trichter. Das kleine, fest zugeschraubte Glas mit Formalin. Alles da und in Ordnung. Er sah auf seine Uhr. Genug Zeit, um zu seiner Verabredung nach Leiden zu kommen. Er steckte sein Mobiltelefon in die Jackentasche und fing an, den Wagen an den Kran zu hängen.

Kapitel 6
    D er Applaus brandete in Wogen über Daniel Barenboims Kopf hinweg, als er sich wieder dem Orchester zuwandte und ihm bedeutete, sich zu erheben.
Nichts fordert den guten Willen des Menschen so sehr heraus wie Mozart
, sinnierte Tadeusz, der einsam in seiner Loge saß und geräuschlos klatschte. Katerina hatte die Oper geliebt, fast so sehr, wie sie es liebte, sich für einen Abend in ihrer Loge der Staatsoper schön zu machen. Wer fragte, woher das Geld kam? Es zählte nur, wie man es ausgab. Und Katerina hatte verstanden, es mit Stil auszugeben, auf eine Art und Weise, die allen um sie herum das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Die erstklassigen Plätze in der Oper waren ihre Idee gewesen, obwohl sie auch ihm vollkommen passend erschienen. Der Opernbesuch heute Abend kam ihm wie eine Mutprobe vor, aber er hatte seine Loge mit niemandem teilen wollen, am wenigsten mit einer der aufgetakelten Frauen, die im Foyer vor der Vorstellung darauf bestanden, ihm ihre Teilnahme auszudrücken.
    Er wartete, bis die meisten Zuschauer draußen waren, und starrte mit leerem Blick auf den Feuerschutzvorhang, der die Bühne verdeckte. Dann stand er auf, schüttelte die Falten seines konservativ geschnittenen Smokings zurecht, schlüpfte in seinen Zobelmantel und stellte in der Tasche das Mobiltelefon wieder an. Schließlich verließ er das Opernhaus und ging in die sternklare Nacht hinaus. Er eilte an den plaudernden Gruppen vorbei, passierte Unter den Linden und ging auf das scheinwerferbeleuchtete Brandenburger Tor zu, wo er zur Rechten die Lichter des Reichstags sah. Es waren drei Kilometer bis zu seiner Wohnung in Charlottenburg, aber heute Abend war er lieber auf den Straßen Berlins als isoliert in seinem Wagen. Wie ein Vampir brauchte er eine Infusion von Lebenskraft. Das gesellschaftliche Geplänkel konnte er noch nicht ertragen, aber abends brodelte in der Stadt eine Energie, die ihm Nahrung gab.
    Er ging gerade am Anfang vom Tiergarten am Sowjetischen Ehrenmal vorbei, als das Mobiltelefon an seiner Hüfte sich vibrierend meldete. Ungeduldig zog er es heraus. »Hallo?«
    »Chef?«
    Er erkannte Krasics tiefe Bassstimme. »Ja?«, antwortete er. Keine Namen auf dem Handy. Es

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