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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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sagte er dann.
    »Nein, ich meine das ernst. Ich bin froh.« Ihr Blick senkte sich auf das düstere Braun ihres Kaffees. »Du hast es verdient.« Sie sah auf und zwang sich zu einem munteren Tonfall. »Wie ist sie denn so?«
    »Sie heißt Frances, eine Lehrerin. Sie ist sehr ruhig, sehr klug. Und sehr lieb. Ich habe sie im Bridge-Club von St. Andrews kennen gelernt. Ich wollte es dir erzählen. Aber erst wenn ich sicher war, dass etwas daraus wird. Und dann … na ja, wie ich schon sagte, hinter E-Mails kann man sich gut verstecken.« Er breitete bedauernd die Hände aus.
    »Das ist in Ordnung. Du bist mir nichts schuldig.« Sie sahen sich in die Augen und wussten beide, dass das eine Lüge war. Sie wollte fragen, ob er Frances liebte, wollte aber auch nicht die falsche Antwort hören. »Und, werde ich sie kennen lernen?«
    »Ich habe ihr gesagt, dass wir zu arbeiten haben, deshalb kommt sie nicht vorbei. Aber ich könnte sie anrufen und fragen, ob sie mit uns zu Abend essen möchte, wenn du willst.« Er war unschlüssig.
    »Lieber nicht. Ich brauche wirklich deinen ganzen Sachverstand und muss morgen schon zurückfliegen.« Carol leerte ihre Tasse. Den Wink verstehend, trank auch Tony aus und stand auf.
    »Es ist wirklich schön, dich zu sehen, weißt du das?«, sagte er, und seine Stimme war sanfter als zuvor. »Du hast mir gefehlt, Carol.«
    Aber nicht genug,
dachte sie, sagte aber: »Ich hab dich auch vermisst. Komm, wir haben eine Menge Arbeit vor uns.«

Kapitel 7
    E in gewaltsamer Tod ist immer ein Schock. Aber irgendwie hatte der Mord in einem schönen Haus aus dem 19. Jahrhundert mit Blick auf einen stillen Kanal, einen mittelalterlichen Gelehrtensitz und einen eindrucksvollen Kirchturm in Hoofdinspecteur Kees Maartens eine tiefere Entrüstung ausgelöst, als es dasselbe Ereignis jemals getan hätte, wenn es sich in einem finsteren Rotterdamer Seitengässchen zugetragen hätte. Er hatte sich in der Hafenstadt an der Nordsee hochgearbeitet und es dann endlich geschafft, sich in die Regio Hollands Midden zurückversetzen zu lassen. Bis jetzt hatte die Rückkehr in seine alte Heimat seinem Traum von einem ruhigeren Leben entsprochen. Nicht dass es in diesem Teil Hollands keine Kriminalität gegeben hätte, beileibe nicht. Aber in der Universitätsstadt Leiden gab es weniger Gewalttätigkeit, das stand fest.
    Jedenfalls hatte er das bis heute geglaubt. Es war ihm durchaus nicht fremd, was ein Mensch oder mehrere, die sich in derselben blinden Wut zusammentaten, einem anderen antun konnten. Schlägereien im Hafen, Streitigkeiten in Kneipen, wo wirkliche oder eingebildete Beleidigungen zu Zusammenstößen führten, die sich viel mehr hochschaukelten, als es dem Anlass entsprach, und wo Prostituierte Tätlichkeiten und sogar Morden zum Opfer fielen, all das gehörte in Rotterdams Stadtteilen mit hoher Kriminalitätsrate zum täglichen Brot. Und Maartens glaubte, sich im Lauf der Jahre gegen die verheerenden Folgen der Brutalität ein dickes Fell angeschafft zu haben und unempfindlich gegen dieses Grauen geworden zu sein. Aber auch darin hatte er sich getäuscht.
    In seiner dreiundzwanzigjährigen Einsatzpraxis in vorderster Linie hatte ihn nichts auf so etwas vorbereitet. Es war anstößig, und dieser Eindruck wurde durch die so wenig dazu passende Umgebung noch verstärkt. Maartens stand auf der Schwelle eines Zimmers, das aussah, als sei es seit der Erbauung des Hauses kaum verändert worden. Die Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Mahagoni-Regalen bedeckt, und die kunstvoll gedrechselten Stäbe besaßen den gedämpften Glanz beharrlicher Pflege über Generationen hinweg. Jedes Regal war voller Bücher und Schachteln, allerdings konnte er von seinem Standpunkt aus keine Details erkennen. Der Boden war mit blankem Parkett ausgelegt und mit zwei abgetretenen, farblosen Teppichen bedeckt.
So etwas hätte ich nie in ein so dunkles Zimmer gelegt
, dachte er und war sich dabei bewusst, dass er mit aller Macht den Blick auf die Mitte des Raums mied. Zwei große Fenster gingen auf den Maresingel und den Kern der Altstadt hinaus. Der Himmel war blassblau, dünne Wolkenstreifen hingen bewegungslos dort oben, als stünde die Zeit still.
    Für den Mann in der Mitte dieser Gelehrtenstube galt das auf jeden Fall. Es konnte kein Zweifel bestehen, dass er tot war. Er lag auf dem breiten Mahagoni-Tisch mitten im Zimmer auf dem Rücken. Die Hand- und Fußgelenke waren mit dünner Schnur an die vier gedrechselten Tischbeine

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