Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
zur Bar, und langsam trat ein Lächeln auf sein Gesicht. Er wirkte fehl am Platz wie überall außerhalb seines eigenen Zuhauses. »Tut mir Leid, dass ich zu spät komme. Das Telefon hat einfach andauernd geklingelt.« Nach einem Moment des Zögerns wandte sich Carol ihm zu, sie umarmten sich, und ihre Finger spürten wieder das vertraute, abgetragene Tweedjackett. Die fünf Zentimeter, die er größer war als sie, waren genau die richtige Größe für ihre 1,67 Meter. »Es ist schön, dich zu sehen«, flüsterte er ihr leise ins Ohr.
    Sie lösten sich voneinander und sahen sich an. In seinem Haar bemerkte sie an den Schläfen Silberfäden. Die Fältchen um seine dunkelblauen Augen waren tiefer geworden, aber die Unruhe in seinem Blick schien sich endlich gelegt zu haben. Er sah gesünder aus, als sie ihn je gesehen hatte, war schlank und drahtig geblieben, fühlte sich aber bei der Umarmung fester an, so als sei sein Körper etwas muskulöser geworden. »Du siehst gut aus«, sagte sie.
    »Von der vielen frischen Seeluft«, sagte er. »Aber du siehst phantastisch aus. Hast du eine neue Frisur? Dein Haar ist irgendwie anders.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Neuer Friseur. Das ist alles. Er schneidet sie ein bisschen schwungvoller, glaube ich.«
Ich kann’s nicht glauben, dass ich über Frisuren rede,
dachte sie ungläubig.
Es ist zwei Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, und wir tun so, als wäre nie mehr zwischen uns gewesen als eine flüchtige Bekanntschaft
.
    »Was auch immer, es sieht spitze aus.«
    »Was darf ich Ihnen bringen?«, unterbrach sie der Kellner und stellte eine Tasse mit einem Kaffeefilter vor Carol hin. »Milch und Zucker sind am Ende der Theke«, fügte er hinzu.
    »Ein Ale«, sagte Tony und holte seine Brieftasche heraus. »Ich übernehme das.«
    Carol nahm ihren Kaffee und sah sich um. »Irgendeinen bestimmten Platz?«, fragte sie.
    »Der Tisch dort hinten in der Ecke, beim Fenster«, sagte er, bezahlte und folgte ihr zu der Stelle, wo eine Sitzbank mit hoher Rückenlehne sie vom Rest des Lokals abschirmte.
    Carol rührte langsam in ihrem Kaffee und wusste genau, dass er in seiner üblichen, nüchtern-distanzierten Art dies als Verlegenheitsgeste deuten würde, aber sie konnte es trotzdem nicht lassen. Als sie aufblickte, war sie überrascht, dass er nur angestrengt auf sein Glas Bier hinuntersah. Irgendwann im Lauf der zwei Jahre musste er etwas Neues dazugelernt haben: seinem Gegenüber eine Pause zu gönnen und es nicht sofort mit seinem analytischen Blick anzuschauen. »Ich bin dir dankbar, dass du dir dafür Zeit nimmst«, sagte sie.
    Er sah auf und lächelte. »Carol, wenn das die Bedingung für deinen Besuch ist, kann ich nur sagen, es ist kein hoher Preis. E-Mails sind ja gut und schön, aber auch eine gute Möglichkeit, sich dahinter zu verstecken.«
    »Für dich und für mich.«
    »Das will ich nicht abstreiten. Aber die Zeit vergeht.«
    Sie erwiderte sein Lächeln. »Willst du also von meiner
Mission Impossible
erfahren?«
    »Du kommst gleich zur Sache, wie immer. Pass auf, ich dachte, wenn du nichts dagegen hast, könnten wir dich vorher in deinem Hotel unterbringen und dann zu mir gehen, um durchzusprechen, was sie für dich geplant haben. Es ist nicht so öffentlich wie in einem Pub. Ich habe nur vorgeschlagen, dass wir uns hier treffen, weil es leichter zu finden ist als mein Häuschen.«
    Da gab es noch etwas, was er nicht aussprach. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass sie immer noch erkennen konnte, was in ihm vorging. »In Ordnung. Ich würde gerne sehen, wo du wohnst. Ich bin noch nie in der Gegend hier gewesen, es ist überraschend malerisch.«
    »Oh ja, malerisch ist es schon. Fast zu malerisch. Man vergisst leicht, dass die Leidenschaften in solchen idyllischen Fischerdörfern genauso toben wie auf den Großstadtstraßen.«
    Carol nippte an ihrem Kaffee, der erstaunlich gut war. »Ein idealer Ort, um sich zu erholen, also?«
    »In mehr als einer Hinsicht.« Er wandte kurz den Blick ab, sah sie dann wieder an, und sein Mund war eine gerade Linie der Entschlossenheit. Sie ahnte ziemlich genau, was kommen würde, und wappnete sich, nach außen nichts als Gelassenheit zu zeigen. »Ich bin … Ich habe jemanden kennen gelernt«, sagte er.
    Carol spürte beim Lächeln jeden Muskel, den sie dazu brauchte. »Ich freue mich für dich«, sagte sie und wünschte, der Stein in ihrem Magen möge sich auflösen.
    Tony hob fragend die Augenbrauen. »Danke«,

Weitere Kostenlose Bücher