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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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ist wahrscheinlich gerade lange genug. Bis morgen dann.«
    »Gute Nacht, Tony. Und danke.«
    »Ist ja das Mindeste, was ich tun kann. Tschüs, Carol.«
    Als er auflegen, drückte sie auf die Taste und ließ den Hörer auf den Teppich fallen. Mit Nelson im Arm ging sie zur Fensterfront und sah auf die alte Kirche hinaus, die allein erhalten geblieben war und fremd inmitten der modernen Betonbauten stand, die jetzt ihr Zuhause waren. Erst heute früh hatte sie den Blick mit einem melancholischen Gefühl des Abschiednehmens über den Platz schweifen lassen und sich vorgestellt, dass sie packen und nach Den Haag ziehen und ihre Stelle als neu ernannte Verbindungsbeauftragte bei Europol antreten würde. Alles hatte ihr deutlich vor Augen gestanden, so als könne schon die klare Vorstellung bewirken, dass es Wirklichkeit wurde. Aber jetzt war es schwer, sich vorzustellen, was ihr – abgesehen von Schlaf und Frühstück – die Zukunft bringen würde.
     
    Die
Wilhelmina Rosen
hatte Arnhem passiert und machte für die Nacht fest. Die Anlegestelle, die er immer nutzte, wenn sie am holländischen Niederrhein ankerten, war bei den beiden Bootsmännern beliebt, die er beschäftigte. Ein Dorf mit einem sehr guten Lokal war in weniger als fünf Minuten zu Fuß erreichbar. Ihre Arbeiten hatten sie in Rekordzeit erledigt, und eine halbe Stunde, nachdem sie vor Anker gegangen waren, war er allein auf dem großen Schiff. Sie hatten ihn nicht gefragt, ob er mitkommen wolle, denn in all den Jahren der Zusammenarbeit war er nur einmal mit ihnen auf eine Sauftour gegangen, als Manfreds Frau ein Kind bekommen hatte. Der Maschinist hatte darauf bestanden, dass der Kapitän mit ihm und Gunther den Kopf des Babys begießen solle. Er erinnerte sich mit Abscheu daran. Sie waren unten in der Nähe von Regensburg gewesen und tranken in verschiedenen Kneipen, wo man die Bedürfnisse der Schiffer kannte. Zu viel Bier, zu viel Schnaps, zu viel Krach, zu viele Schlampen, die sich ihm anboten und sich über ihn mokierten.
    Es war viel besser, an Bord zu bleiben, wo er sich mit seinen Geheimnissen beschäftigen konnte, ohne befürchten zu müssen, dass er unterbrochen wurde. Außerdem gab es immer Arbeit, wenn man ein altes Rheinschiff tipptopp in Ordnung halten wollte. Er musste dafür sorgen, dass die Messingteile blitzten und alles immer gepflegt und gut gestrichen aussah. Das alte Steuerhaus und seine Kajüte strahlten vom ständigen Putzen und Polieren vieler Jahre, bei dem seine Hände einer über die Generationen auf ihn gekommenen Tradition folgten. Er hatte das Schiff von seinem Großvater geerbt, das einzig Gute, was der alte Sack für ihn getan hatte.
    Nie würde er die Befreiung vergessen, die der Unfall des Alten für ihn bedeutet hatte. Niemand hatte es gemerkt bis zum Morgen. Sein Großvater war an Land gegangen, um den Abend in einer Kneipe zu verbringen, wie er das von Zeit zu Zeit tat. Er trank nie mit der Mannschaft, sondern setzte sich allein in eine stille Ecke eines Bierkellers weit weg von den anderen Schiffern. Er benahm sich, als sei er zu gut, um mit den anderen zu verkehren, obwohl sein Enkel glaubte, er habe wahrscheinlich alle Schiffsleute auf dem Fluss mit seiner eigensinnigen Selbstherrlichkeit verärgert.
    Morgens gab es auf dem Schiff keine Spur von dem alten Mann. Das allein war schon bemerkenswert, denn er hatte feste, unerschütterliche Angewohnheiten. Keine Krankheit hatte je vermocht, ihn niederzustrecken, und niemals hatte er sich so weit gehen lassen, dass es ihn auch nur eine Minute nach sechs noch in seiner Koje hielt. Winters wie sommers war der alte Mann um zwanzig nach sechs gewaschen, rasiert und angekleidet, hob die Abdeckungen von den Motoren und inspizierte sie misstrauisch, ob sie in der Nacht auch kein Übel befallen hatte. Aber an diesem Morgen hing eine unheilvolle Stille über dem Kahn.
    Er hatte den Kopf gesenkt gehalten und sich im Kielraum mit dem Zerlegen einer Pumpe beschäftigt. So hatten seine Hände etwas zu tun, und er konnte vermeiden, dass seine Nervosität ihn verriet, falls später jemand Verdacht schöpfen sollte. Aber die ganze Zeit glühte er vor innerer Freude, dass er seine Zukunft selbst in die Hände genommen hatte. Endlich würde er Meister seines eigenen Schicksals sein. Millionen Menschen wollten sich befreien, so wie er es getan hatte, aber nur eine Hand voll würde je den Mut haben, etwas zu unternehmen. Mit selten empfundenem, plötzlichem Stolz wurde ihm klar, dass er

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