Ein kalter Strom
wichtig. Wir haben genug gegen Radecki, um ihn für immer hinter Gitter zu bringen. Ich muss mit dir fahren . Ich muss sicher sein, dass es Tony gut geht.«
»Auf keinen Fall«, widersprach Petra. »Du bist noch nicht in der Verfassung, überhaupt irgendwohin zu fahren. Deshalb kommt Marijke her, damit sie sich um dich kümmern kann.«
»Ich komme mit«, sagte Carol starrköpfig.
»Es ist keine Zeit dazu. Ich gehe jetzt.« Petra nahm ihre Tasche und ging auf die Tür zu.
»Das kannst du mir nicht antun, Petra«, rief Carol.
»Doch, das kann ich. Weil es das Richtige ist. Ich muss mich darauf konzentrieren, Radecki zu fassen und Tonys Leben zu retten. Ich will mich nicht noch um dich sorgen müssen. Ich rufe dich an, sobald es etwas Neues gibt.« Sie wollte gerade die Tür öffnen, als die Sprechanlage summte. Petra nahm den Hörer ab. »Ja?« Sie horchte einen Moment und drückte dann auf den Türöffner. »Marijke kommt jetzt hoch. Ich ruf dich an. Ich verspreche, dass ich dich anrufe.«
Petra öffnete die Tür und ging den Flur entlang zum Aufzug. Nicht in ihren wildesten Träumen hätte sie sich dieses Szenario für ihr erstes Treffen mit Marijke so ausdenken können. Man konnte sich kaum etwas Unromantischeres vorstellen, als Marijke mit der Aufgabe zu betrauen, ein Vergewaltigungsopfer zu trösten, während sich Petra aufmachte, um einen Killer zu jagen.
Die Türen gingen auf, und die beiden Frauen standen sich gegenüber. Petra musste trotz allem lächeln. Marijke war größer, als sie sich vorgestellt hatte, aber in Wirklichkeit viel attraktiver als auf den Fotos, die sie ihr geschickt hatte. »Ach«, sagte sie, »dein Timing ist unmöglich.«
»Ich dachte, du würdest dich freuen«, sagte Marijke aufgebracht.
»Mein Gott, Marijke! Carol ist vergewaltigt worden, Radecki hat Tony gefangen genommen und will ihn umbringen. Im Moment kann ich an nichts anderes denken.«
Marijkes Gesicht verlor jeden Ausdruck, so schockiert war sie. »Was ist passiert?«
Petra drängte sich an ihr vorbei in den Aufzug und redete dabei ununterbrochen.
»Irgendwie ist Carols Tarnung aufgeflogen. Ich weiß nicht, wie, ich habe keine Gelegenheit gehabt, sie zu fragen. Radecki hat sie vergewaltigt und brutal geschlagen. Sie ist in einem schrecklichen Zustand. Ich muss versuchen, ihn daran zu hindern, dass er Tony umbringt. Du musst dich um Carol kümmern, sie sollte nicht allein sein.« Sie gab Marijke einen schnellen Kuss auf die Lippen und schob sie sanft aus dem Aufzug hinaus. »Ich rufe an.« Als sich die Aufzugtüren schlossen, rief sie noch: »Ich freue mich wirklich, dass du hier bist, Marijke.«
Wie betäubt stand Marijke da und starrte die polierten Stahltüren an. Das war nicht die Begegnung, von der sie geträumt hatte. Sie war nicht sicher, ob es an ihrem Englisch lag, aber sie meinte, Petra hätte ihr gerade gesagt, Carol sei vergewaltigt worden und Tony sei kurz davor, umgebracht zu werden. Es war schwierig, das zu begreifen. Schließlich waren nur ein paar Stunden vergangen, seit sie mit beiden telefoniert hatte. Sie zog die Augenbrauen hoch, rückte den Rucksack auf ihren Schultern zurecht und fing an, nach Wohnung Nr. 302 zu suchen.
Die Tür war angelehnt, und sie hörte, dass Wasser lief. Marijke trat ein und schloss die Tür hinter sich. Jetzt erkannte sie, dass es links von ihr hinter einer Tür in einer Dusche rauschte. Sie stellte ihren Rucksack ab und klopfte so laut, dass es trotz des Wassers zu hören war. »Hallo?«, rief sie zaghaft.
Das Wasser hörte auf zu laufen. »Marijke?«, fragte eine Stimme.
»Ja, ich bin hier, Marijke.«
»Kommen Sie rein, es ist nicht abgeschlossen.« Die Dusche lief wieder. Marijke ging hinein und fand eine Frau vor, die wohl Carol Jordan sein musste, sich an der Duschwand abstützte und mit Seife wusch. Ihr Gesicht sah schrecklich aus. Das weiche Gewebe war geschwollen, die Nase offensichtlich gebrochen und die Augen zwischen blauen Flecken kaum zu sehen. Ihr nasses Haar klebte am Kopf, wodurch sie noch schlimmer aussah.
»Es tut mir so Leid«, sagte Marijke.
»Es geht schon«, sagte Carol. »Wirklich.«
»Ich glaube, Sie sollten sich jetzt nicht waschen, oder?«, sagte Marijke.
»Ich hab dieses Gespräch schon mit Petra gehabt. Das hier ist nicht wichtig. Es kommt jetzt auf Tony an.« Carol griff nach oben und drehte das Wasser wieder ab. »Könnten Sie mir ein Handtuch geben? Und mir vielleicht hier raushelfen?«
Marijke kam ihr schnell zu Hilfe und
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