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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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sie mit einer beruflichen Aufgabe beschwichtigen, ihr geben, was immer sie verlangte, aber für alle Zeiten würde ihr Katerinas Tod wie ein Mühlstein am Hals hängen. Jeder Blick in den Spiegel würde sie an den Zufall der gleichen Gene erinnern, der eine andere Frau das Leben gekostet hatte.
    Wie immer es für Carol heute Abend ausgehen mochte, er wusste jedenfalls, dass sie nie mehr ganz sie selbst sein würde. Und obwohl ihm klar war, dass es fast unerträglich sein würde, zuzusehen, wie diese Zerstörung sich an ihr vollzog, bereute er bitter, dass er nicht da sein würde, um seine Hilfe anzubieten, wie unbedeutend sie auch sein mochte. Reue hatte er nie besonders wichtig gefunden, da er glaubte, dass die Menschen immer die Entscheidungen treffen, die für sie zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens die einzig möglichen sind. Aber jetzt, wo er sterben würde, war ihm klar, dass sie doch einen Wert hatte. Die Reue über Dinge, die man getan oder nicht getan hatte, konnte eine Veränderung in der Zukunft bewirken.
    Nur die, denen keine Zukunft mehr blieb, konnten das klar erkennen.
     
    Petra kam mit einem Gefühl tiefer Befriedigung aus dem geheimen Unterschlupf. Mutter und Tochter waren nach einer herzlichen Begegnung wieder glücklich vereint, und Marlene tat so, als sei Petra ihre neue beste Freundin. Zum ersten Mal hatte sie ihr freiwillig Informationen gegeben und ausgesagt, dass sie viel mehr über Darko Krasics Aktivitäten wusste, als Petra vermutet hatte. »Tanjas Vater hat früher für Radecki und Krasic gearbeitet«, hatte sie zugegeben. »Sein Bruder ist Schiffsmakler, und Rudi war der Mittelsmann, der in der ersten Zeit geholfen hat, ihre Transporte zu organisieren.«
    »Wo ist Rudi jetzt?«
    »Fischfutter. Seine Leiche wurde vor zwei Jahren in der Spree gefunden. Es war angeblich ein Unfall. Er war besoffen, und sie sagten, er sei reingefallen und ertrunken. Wir hatten uns damals schon getrennt, aber ich habe mich immer gefragt, ob das stimmte. Radecki und Krasic mögen es nicht, wenn jemand über ihre Geschäfte Bescheid weiß.«
    Es war ein weiterer Ermittlungsansatz, den man verfolgen konnte. Aber das hatte Zeit bis zum Morgen. Erschöpft ging Petra zu ihrem Wagen, nahm ihr Mobiltelefon heraus und schaltete es wieder an. Sie hatte es abgeschaltet, während sie im Haus war, weil sie beim Gespräch mit Marlene nicht unterbrochen werden wollte. Es klingelte sofort, weil eine Nachricht für sie da war. Sie wählte ihre Mailbox an und hörte sie ab. Zuerst verstand sie nicht, was gesagt wurde, erkannte nur Carols Stimme, weil sie Englisch sprach. Hastig spielte sie es noch einmal ab und legte die Hand aufs andere Ohr, um den Verkehrslärm abzuhalten.
    Diesmal konnte kein Zweifel am Sinn ihrer Worte und der Verzweiflung darin bestehen. Was war nur geschehen? Petra rannte die letzten paar Meter zum Wagen und raste dann wie eine von der Verkehrspolizei zu Carols Straße. Sie ließ das Auto auf einem Behindertenparkplatz stehen und lief die Straße zu dem Wohnblock zurück, suchte in ihrer Tasche nach den Reserveschlüsseln zur Wohnung und beglückwünschte sich, dass sie sich in weiser Voraussicht einen Extrasatz von Carols Schlüsseln hatte machen lassen. Glücklicherweise war der Aufzug gerade im Erdgeschoss, so dass sie keine Energie fürs Treppensteigen zu verschwenden brauchte.
    Sie wollte gerade den Schlüssel ins Loch stecken, als ihr blitzartig Bedenken kamen. Was, wenn das eine Falle war? Wenn Radecki und Krasic Carol gezwungen hätten, den Anruf zu machen?
    Aber Petra verdrängte den Gedanken. Carol würde keine Kollegin auf diese Weise gefährden. Wenn sie gezwungen worden wäre, hätte sie eine Formulierung gefunden, die Petra gewarnt hätte. Sie schloss die Tür auf und betrat die Wohnung. Es war still, obwohl sie vom Flur aus das flimmernde Licht eines Fernsehers sehen konnte. Sie nahm die Gerüche von Sex und Blut wahr und blieb erschrocken stehen. »Carol?«, rief sie.
    Nichts. Petra schob die Hand in die Innentasche, wo ihre Dienstwaffe, eine Walther PPK , leicht erreichbar steckte, zog sie vorsichtig heraus und entsicherte sie. Behutsam legte sie ihre Tasche auf den Boden, hielt die Pistole in beiden Händen und näherte sich mit dem Rücken zur Wand langsam der Wohnzimmertür.
    Sie trat schnell ins Zimmer und ging sofort in Schussstellung. Das Bild, das sich ihr hier bot, war viel, viel schlimmer, als sie sich je hätte vorstellen können. Carol lag zusammengekrümmt da, ihre Handgelenke

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