Ein kalter Strom
Gefahr.«
»Krebs weiß das. Und sie weiß, was sie zu tun hat, damit das Kind am Leben bleibt. Daran werden Sie nichts ändern. Petra, Sie werden es lassen müssen. Es wird andere Möglichkeiten geben.«
Petra starrte ihre Chefin an. »Nach dem, was ich höre, nicht.«
»Was heißt das?«
»Es soll eine große Aktion gegen Radecki gestartet werden. Und zwar nicht unsere eigene. Chefin, ich reiß mir seit Jahren den Arsch auf und versuche, gegen den Dreckskerl genug Material zusammenzukriegen. Und wenn das unsere letzte Chance ist, ihn festzusetzen, dann will ich nichts unversucht lassen.«
Plesch wandte den Blick ab. »Petra, das ist keine Aufgabe für Sie persönlich. Sie haben nicht irgendwie ein besonderes Recht, diejenige zu sein, die schließlich Radeckis Organisation kassiert. Es spielt keine Rolle, wer ihn sich holt, solange es irgendjemand tut.«
»Sie bestätigen also, dass etwas läuft, was ihn uns wegnehmen kann?« Jetzt war sie wirklich aufgebracht und machte sich nichts daraus, dass sie zu weit ging. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und auf Wangen und Hals erschienen rote Flecken.
»Hören Sie auf zu drängeln«, sagte Plesch und stand auf. »Gehen Sie einfach und machen Sie Ihren Job. Wir müssen noch darüber reden, aber nicht jetzt. Hören Sie zu, Petra. Wir haben doch lange genug zusammengearbeitet. Sie sollten begreifen, dass Sie mir manchmal einfach vertrauen müssen. Im Moment ist es nicht günstig, einen großen Aufstand zu machen. Sie sollten kein so großes Risiko eingehen. Es ist nicht nötig und nicht erstrebenswert.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Das ist übrigens ein Befehl. Sie setzen das Kind auf keinen Fall einer Gefahr aus.«
Petra hatte stinkwütend mit geballten Fäusten das Büro verlassen. Erst später, als ihr erster Ärger sich gelegt hatte, überlegte sie sich, was Plesch gesagt hatte. Sie hatte, wenn auch nur indirekt, bestätigt, dass es im Fall Radecki eine drastische Veränderung geben würde. Aber sie schien anzudeuten, dass Petra dabei eine Rolle spielen konnte, wenn sie sich nicht zu einem Fehler hinreißen ließ. Es war noch lange kein Versprechen, aber es tröstete sie etwas über die Ablehnung ihres Plans hinweg.
Sie warf sich auf ihren Stuhl und öffnete das Programm für ihre internen E-Mails. Zwar erwartete sie nichts Interessantes, aber es war immerhin besser, als die Wand anzustarren. Sie überflog die kurze Liste der neuen Mails. Das Einzige, was ihre Aufmerksamkeit erregte, war eine Antwort auf ihre Anfrage bei der Polizei Heidelberg. Da alles in den letzten zwei Tagen so mies gelaufen war, erlaubte sie sich keine freudige Spannung, öffnete aber die E-Mail trotzdem. Ihre Augen liefen über den Bildschirm und nahmen die wichtigsten Einzelheiten auf:
Walter Neumann, 47, Dozent an der Heidelberger Universität Ruperto Carola
.
Petras innere Radarüberwachung reagierte. Wieder ein Akademiker, wieder ein Psychologe. Das war vielversprechend. Sie ließ den Text nach unten rollen. Drei Wochen zuvor war er in seiner Wohnung in der Nähe der Uni in der Altstadt gefunden worden. Sein Computer war auf dem Boden zerschmettert, und er lag rücklings mit ausgestreckten Gliedmaßen auf seinem Schreibtisch. Die Einzelheiten waren die gleichen, die ihr Marijke über den Mord an de Groot in Leiden gegeben hatte, bis hin zur Todesursache, Ertrinken, und zum Abschneiden des Schamhaars mit der darunter liegenden Haut.
»Volltreffer«, sagte sie leise. Gut, die Regel war, es mussten drei Vorkommnisse sein, damit man von einer Serie sprechen konnte, aber zwei Morde nach einem so ausgefallenen Muster, das konnte kein Zufall sein. Es wunderte sie jedoch, dass diese Information das Dezernat für organisiertes Verbrechen durchlaufen hatte. Als sie weiterlas, fand sie die dürftige Erklärung ganz am Ende des Dokuments.
Bei der ursprünglichen Untersuchung dieses Mordes fand sich kein persönliches Motiv. Neumann war jedoch nach unseren Erkenntnissen in der Drogenszene aktiv. Er konsumierte angeblich seit langer Zeit Cannabis und Amphetamine, und die Gruppe des Rauschgiftdezernats, die sich mit dem Umfeld der Universität beschäftigt, hat Gerüchte gehört, dass Neumann Drogen an Studenten verkauft hätte. Obwohl wir nicht eindeutig nachweisen können, dass er sich mit Dealen beschäftigt hat, scheint es möglich, dass dieser absonderliche Mord geschah, weil das Opfer sich mit dem organisierten Verbrechen eingelassen hatte, das in der Drogenszene existiert.
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