Ein kalter Strom
Schreibtisch festgebunden. Ihre Kleidung war weggeschnitten, und sie wurden nackt liegen gelassen. Die Todesursache war Ertrinken, ein Schlauch wurde ihnen in die Kehle gesteckt, durch den Wasser gegossen wurde, bis sie starben. Und es gibt eine interessante, nach dem Tod zugefügte Verstümmelung: Der Mörder hat die Haut der Leistengegend abgezogen. Die Geschlechtsteile wurden nicht verletzt, nur die Haut mit dem Schamhaar entfernt.
Das Problem: Der erste Mord, den wir kennen, wurde in Heidelberg, Deutschland, verübt, der zweite in Leiden in Holland, der dritte (der möglicherweise dazugehört) wieder in Deutschland, in Bremen. Der Zusammenhang ergab sich durch Zufall. Petra hatte Einzelheiten über den ersten Fall erfahren, und eine Freundin von ihr, Marijke, die bei der Polizei in Holland ist, erzählte ihr von dem zweiten Fall. Petra fand das Bindeglied. Dann, als über den dritten Mord an einem Psychologiedozenten berichtet wurde, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, obwohl sie nicht genug Einzelheiten hat, um ganz sicher zu sein, dass alles zusammenpasst. Wie du siehst, ist also ein Albtraum zu erwarten, was die Zuständigkeiten betrifft. Außerdem hat sie die Sache noch nicht öffentlich gemacht, weil wir zuvor einen Weg finden mussten, wie Petra die Verbindungen zwischen den Fällen entdeckt haben kann, ohne dass Marijke großen Ärger bekommt, weil sie nicht dichtgehalten hat. Irgendwann in den nächsten Tagen wird der Leidener Fall aber an Europol durchgegeben, was die Sache ins Rollen bringen dürfte.
Allerdings brauche ich dir nicht zu schildern, wie das Ganze in der Bürokratie stecken bleiben wird. Petra meint, es sei nicht wahrscheinlich, dass irgendjemand sonst diese Zusammenhänge hergestellt hat, da es wenig Austausch zwischen den deutschen Polizeikräften untereinander gibt (hört sich irgendwie bekannt an, oder???). Petra glaubt aber auch, und ich stimme mit ihr überein, dass der Kerl noch mehr Morde begehen wird, bevor eine korrekt eingesetzte internationale Task Force mit der Arbeit beginnen kann. Sie will also diesen ganzen Prozess mit einer inoffiziellen Ermittlung umgehen. Bis jetzt tappen sie offenbar völlig im Dunkeln. Dieser Täter scheint seine Spuren sehr geschickt zu verwischen. Es liegt wohl für sämtliche Fälle fast nichts von der Rechtsmedizin vor.
Warum Petra es riskiert hat, dies auszuplaudern? Na ja, vergessen wir nicht, dass sie im Nachrichtendienst ist. Und sie hatte sich über mich kundig gemacht, was unvermeidlich zu dir führte.
Offensichtlich wollen, nein BRAUCHEN die Kolleginnen ein Täterprofil. Und – wie es im Song heißt – »Nobody does it better«.
Und Petra will die beste Arbeit.
Es ist eine Chance, wieder einzusteigen, Tony. Und du könntest in einem sicheren Umfeld arbeiten, weil es ganz inoffiziell wäre. Du wärst nicht der Öffentlichkeit ausgesetzt, und niemand würde dir über die Schulter schauen und sofort Ergebnisse fordern. Keine Artikel in der Presse, die dich unter Druck setzen. Nur ein unauffälliger Auftrag, mit dem du vielleicht Leben retten könntest.
Wenn die beiden es schaffen, etwas zu erreichen, würdest du natürlich die Anerkennung bekommen, was dir vielleicht auf dem europäischen Festland einige Möglichkeiten eröffnen könnte.
Bitte glaube nicht, dass du meinetwegen zustimmen musst. Ich habe Petra gesagt, dass ich keine große Hoffnung habe. Aber ich wäre deinetwegen froh, wenn du einwilligen würdest, weil ich nicht glaube, dass das, was du jetzt tust, dich sehr befriedigt. Und wenn du das tust, was du am besten kannst, wärst du vielleicht zufriedener mit dir selbst.
Überleg es dir.
Mach’s gut
CJ
Tony scrollte zum Anfang der Nachricht zurück und las sie noch einmal langsam durch, wobei gelegentlich ein ironisches Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Sie war gut, das musste er zugeben. Sie war schon immer flink gewesen und hatte inzwischen ein paar nette kleine Tricks dazugelernt. Er fragte sich, wie lang sie gebraucht hatte, etwas auf den ersten Blick so Lockeres zu verfassen, das trotzdem ganz klar darauf angelegt war, die richtigen Saiten bei ihm anzuschlagen. Sie hatte genug Information zu den Fällen angedeutet, dass sein Appetit auf mehr geweckt wurde, aber nicht so viel, dass er sie als uninteressant abtun konnte.
Ja, es war sehr gut gemacht. Bis hin zu dem Köder, es wie eine Trockenübung aussehen zu lassen, die nirgends offiziell erfasst war und die man, ob es nun gut oder schlecht lief, jederzeit
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