Ein Kampf um Rom
ihm noch einmal mit einer Fürbitte für die Verräter
nahe. Da verstummten wir alle. Nur Einer nicht. Nur Athalarich, der Knabe, ließ sich nicht schrecken, er weinte und flehte
und hing sich an seines Großvaters Knie.«
Camilla erbebte: der Atem stockte ihr.
»Und nicht ließ er ab, bis Theoderich in höchstem Zorn emporfuhr, ihn mit einem Schlag in den Nacken von sich schleuderteund den Wachen übergab. Der ergrimmte König hielt seinen Eid. Athalarich ward in den Kerker des Schlosses geführt und Boëthius
sofort getötet.«
Camilla wankte und hielt sich an einer Säule des Saales.
»Aber nicht umsonst hatte Athalarich gesprochen und gelitten. Tags darauf vermißte der König an der Tafel schwer den Liebling,
den er von sich gebannt. Er gedachte, mit welch edlem Mut er, der Knabe, für seine Freunde gebeten, als die Männer in Furcht
verstummten. Er stand endlich auf von seinem Abendtrunk, bei dem er lange sinnend saß, stieg selbst hinab in den Kerker, öffnete
die Pforte, umarmte seinen Enkel und schenkte auf seine Bitte deinen Söhnen, Rusticiana, das Leben.«
»Fort, fort zu ihm!« sprach Camilla mit erstickter Stimme zu sich selbst und eilte aus dem Saal.
»Damals«, fuhr Cassiodorius fort, »damals mochten Römer und Römerfreunde in dem künftigen König ihre beste Stütze sehen, und
jetzt – meine arme Herrin, arme Mutter!« und klagend schritt er hinaus.
Rusticiana saß lange wie betäubt. Sie sah alles wanken, worauf sie ihre Rachepläne gebaut: sie versank in dumpfes Brüten.
Länger und länger schon fielen die Schatten der Türme in den Schloßhof, auf welchen sie hinausstarrte. Da weckte sie der feste
Schritt eines Mannes im Saal, erschrocken fuhr sie auf: Cethegus stand vor ihr. Sein Antlitz war kalt und finster, aber eisig
ruhig.
»Cethegus!« rief die Bekümmerte und wollte seine Hand fassen, aber seine Kälte schreckte sie zurück. »Alles verloren!« seufzte
sie, stehen bleibend.
»Nichts ist verloren. Es gilt nur Ruhe. Und Raschheit«, setzte er, umblickend im Gemach, hinzu. Als er sich allein mit ihr
sah, griff er in die Brustfalten seiner Toga. »Dein Liebestrank hat nicht geholfen, Rusticiana. Hier ist ein andrer, stärkrer.
Nimm.«
Und rasch drückte er ihr eine Phiole von dunklem Lavastein in die Hand. Mit banger Ahnung sah ihn die Freundin an: »Glaubst
du auf einmal an Magie und Zaubertrank? Wer hat ihn gebraut?«
»Ich«, sagte er, »und
meine
Liebestränke wirken.«
»Du!« – es durchlief sie ein eisiges Grauen.
»Frage nicht, forsche nicht, säume nicht«, sprach er herrisch. »Es muß noch heute geschehen. Hörst du? Noch heute.«
Aber Rusticiana zögerte noch und sah zweifelnd auf das Fläschchen in ihrer Hand. Da trat er heran, leise ihre Schulter berührend:
»Du zauderst«, sagte er langsam. »Weißt du, was auf dem Spiele steht? nicht nur unser ganzer Plan! Nein, blinde Mutter. Noch
mehr. Camilla
liebt
, liebt den König mit aller Kraft der jungen Seele. Soll die Tochter des Boëthius die Buhle des Tyrannen werden?«
Laut aufschreiend fuhr Rusticiana zurück: was in den letzten Tagen wie eine böse Ahnung in ihr aufgestiegen, ward ihr gewiß
mit diesem einen Wort: noch einen Blick warf sie auf den Mann, der das Grausame gesprochen, und hinweg eilte sie, zornig die
Faust um das Fläschchen geballt.
Ruhig sah ihr Cethegus nach. »Nun, Prinzlein, wollen wir sehen. Du warst rasch, ich bin rascher. – Es ist eigen«, sagte er
dann, die Falten seiner Toga herabziehend, »ich glaubte längst nicht mehr, noch solche heftige Regung empfinden zu können.
Jetzt hat das Leben wieder einen Reiz. Ich kann wieder streben, hoffen, fürchten. Sogar hassen. Ja, ich hasse diesen Knaben,
der sich unterfängt, mit der kindischen Hand in meine Kreise zu tappen. Er will mir trotzen – meinen Gang aufhalten, er stellt
sich kühn in meinen Weg: Er – mir! wohlan, so trag’ er denn die Folgen.«
Und langsam schritt er aus dem Gemach und wandte sich nach dem Audienzsaal der Regentin, wo er sich absichtlich der versammelten
Menge zeigte und durch die eigne Sicherheit den bestürzten Herzen der Hofleute einige Ruhe wiedergab. Er sorgte dafür, zahlreicher
Zeugen für all seine Schritte an diesem verhängnisvollen Tag sich zu versichern.
Beim Sinken der Sonne ging er mit Cassiodor und einigen andern Römern, seine Verteidigung für den nächsten Tag beratend, in
den Garten, in dessen Laubgängen er sich umsonst nach Camilla umsah.
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