Ein Kampf um Rom
auch der Flüchtling entkam – diese Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthält
Namen von römischen Großen und neben den Namen Zeichen einer unlösbaren Geheimschrift. Hier ist die Rolle.«
Er reichte sie dem König. Dieser las: »Die Namen sind: Silverius, Cethegus, Licinius, Scaevola, Calpurnius, Pomponius.– Kannst
du beschwören, daß der Vermummte Albinus war?«
»Ich will’s beschwören.«
»Wohlan, Präfect. Graf Teja ist ein freier, unbescholtener, eidwürdiger Mann. Kannst du das leugnen?«
»Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in nichtiger, blutschänderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder,
die Kirche hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln
Römer senatorischen Ranges.«
Ein Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten.
Tejas blasses Antlitz aber wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans Schwert:
»So vertret’ ich mein Wort mit dem Schwert«, sprach er mit tonloser Stimme. »Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht
auf Tod und Leben.«
»Ich bin Römer und lebe nicht nach eurem blutigen Barbarenrecht. Aber auch als Gote – ich würde dem Bastard den Kampf versagen.«
»Geduld«, sprach Teja und stieß das halb gezückte Schwert leise in die Scheide zurück. »Geduld, mein Schwert. Es kommt dein
Tag.«
Aber die Römer im Saale atmeten auf. Der König nahm das Wort:
»Wie dem sei, die Klage ist genug begründet, die genannten Römer zu verhaften. Du, Cassiodorius, wirst die Geheimschrift zu
entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemächtigst dich der fünf Verdächtigen, durchsuchst ihre Häuser und
das des Präfecten. Hildebrand, du verhafte den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab.«
»Halt«, sprach Cethegus, »ich leiste Bürgschaft mit all meinem Gut, daß ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende.
Ich verlange Untersuchung auf freiem Fuß: das ist des Senators Recht.«
»Kehr dich nicht dran, mein Sohn«, rief der alte Hildebrand vortretend, »laß mich ihn fassen.«
»Laß«, sprach der König, »Recht soll ihm werden, strenges Recht, doch nicht Gewalt. Laß ab von ihm. Auch hat ihn die Klage
überrascht. Er soll Zeit haben, sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde treffen wir uns wieder hier. Ich löse die Versammlung.«
Der König winkte mit dem Scepter: in höchster Aufregung eilte Amalaswintha aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja.
Die Römer drückten sich rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor schritt fest auf ihn zu,
legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm prüfend ins Auge und fragte dann: »Cethegus, kann ich dir helfen?«
»Nein, ich helfe mir selbst«, sprach dieser, entzog sich ihm und schritt allein und stolzen Ganges hinaus.
Zehntes Kapitel
Der heftige Schlag, welchen der junge König so unerwartet gegen das ganze System der Regentschaft geführt hatte, erfüllte
bald den Palast und die Stadt mit Staunen, mit Schrecken oder Freude. Zu der Familie des Boëthius brachte die erste bestimmte
Kunde Cassiodor, welcher Rusticianen zum Trost der erschütterten Regentin beschied. Mit Fragen bestürmt, erzählte er den ganzen
Hergang ausführlich: und so bestürzt oder unwillig er darüber war, auch aus seinem feindlichen Bericht leuchteten die Kraft,
der Mut des jungen Fürsten unverkennbar hervor. Mit Begierde lauschte Camilla jedem seiner Worte: Stolz, Stolz auf den Geliebten
– der Liebe glücklichstes Gefühl – erfüllte mächtig ihre ganze Seele.
»Es ist kein Zweifel«, schloß Cassiodor mit Seufzen, »Athalarich ist unser entschiedenster Gegner: er steht ganz zu der gotischen
Partei, zu Hildebrand und seinen Freunden. Er wird den Präfecten verderben. Wer hätte das von ihm geglaubt! Immer muß ich
daran denken, Rusticiana, wie so ganz anders er sich bei dem Prozeß deines Gatten benahm.«
Camilla horchte hoch auf.
»Damals gewannen wir die Überzeugung, er werde zeitlebens der glühendste Freund, der eifrigste Vertreter der Römer sein.«
»Ich weiß davon nichts«, sagte Rusticiana.
»Es ward vertuscht. Das Todesurteil war gesprochen über Boëthius und seine Söhne. Vergebens hatten wir alle, Amalaswintha
voran, die Gnade des Königs angerufen: sein Zorn war unauslöschlich. Als ich wieder und wieder ihn bestürmte, fuhr er zornig
auf und schwur bei seiner Krone, der solle es im tiefsten Kerker büßen, der
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