Ein König für San Rinaldi
Gefühle des Königs, was diesen neu entdeckten Erben anging. Ohne es zu ahnen, hatte König Giorgio vor vierzig Jahren während einer kurzen Affäre mit einer arabischen Prinzessin einen Sohn gezeugt. Nun freute er sich zwar darüber, einen Erben zu haben. Gleichzeitig bedrückten König Giorgio aber auch große Sorgen. Sein außerehelicher Sohn war in einem arabischen Land erzogen worden. Das bedeutete höchstwahrscheinlich, dass seine Ansichten nicht unbedingt zu einem Herrscher von San Rinaldi passten.
Einerseits fühlte sie mit König Giorgio. Die Situation war tatsächlich alles andere als einfach. Andererseits schmeichelte es Natalia, dass er gerade sie ausgewählt hatte. Zwischen allen Frauen, die auf San Rinaldi lebten, hatte König Giorgio sich für sie entschieden. Sie sollte die Ehefrau des künftigen Königs sein. Und zwar, weil sie anscheinend Königin Sophia ähnelte. König Giorgio hatte Natalia mit ihr verglichen.
Das Andenken an die tugendhafte und sanftmütige Königin wurde im Volk immer noch gepflegt, obwohl sie sehr jung gestorben war. Schließlich hatte sie sehr viel für San Rinaldi getan. Als kleines Mädchen hatte Natalia sich oft ausgemalt, wie sie in der Zeit zurückreiste und Königin Sophia bei der Arbeit half. Und nun würde sie als Erwachsene Königin Sophias Arbeit fortführen.
Die Aussicht auf eine wichtige Lebensaufgabe versetzte Natalia in Hochstimmung. Ohne nachzudenken, hatte sie freudig zugestimmt, als ihr die Entscheidung des Königs mitgeteilt worden war. Nicht bedacht hatte Natalia, wie der Preis für die Rolle als Königin aussah: die Ehe mit einem völlig Fremden. Schließlich war sie nie verliebt gewesen und rechnete auch nicht damit, dass ihr so etwas irgendwann passierte. Im Gegenteil, Natalia sah sich als praktisch denkenden Menschen. Sie fand es absolut vernünftig, wenn zwei Menschen, die dieselben Überzeugungen vertraten, in einer Ehe auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiteten.
Dennoch waren ihr sofort gewisse Bedenken gekommen. Wenn sie den nächsten König von San Rinaldi heiratete, bedeutete das zwangsläufig, dass sie ihm Erben schenken musste. Sie würde also mit ihm schlafen müssen.
König Giorgio war von der Entwicklung der Dinge dermaßen begeistert gewesen, dass er stolz betont hatte, wie sehr ihm sein Sohn ähnelte. Da der König sogar im hohen Alter sehr gut aussah, nahm Natalia an, dass auch ihr zukünftiger Ehemann attraktiv war.
Über seinen Charakter wusste sie allerdings nichts. Womöglich war er ein Mann, den sie niemals mögen und respektieren konnte. Sollte er sich als höchst unsympathisch herausstellen, wollte sie ihm jedenfalls ihr Land nicht sang- und klanglos überlassen. Nein, stattdessen würde sie als Ehefrau auf ihn einwirken und dadurch eine wichtige Aufgabe erfüllen.
Alle, die sie als aufgeschlossene, zukunftsorientierte und erfolgreiche Geschäftsfrau kannten, würden ihren Ohren nicht trauen. Sicher fragten sich bald alle, weshalb sie König Giorgios Vorschlag nicht von vornherein mit einem entschiedenen Nein abgelehnt hatte.
Der Grund dafür war nicht offensichtlich. Denn äußerlich wirkte sie dynamisch und sehr modern. Doch tief in ihrem Inneren schlummerte auch eine leidenschaftliche Liebe zu ihrem Land, seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und vor allem seiner Zukunft.
Die Zukunft von San Rinaldi war am wichtigsten – und zwar eine gute Zukunft, die dem Land bevorstand, wenn es klug regiert wurde. Wie viele andere Staaten durchlebte San Rinaldi gerade eine Krisenzeit. Traditionelle Werte und Fortschritt prallten aufeinander.
Es gab viele, die sich wie Natalia mehr Fortschritt für San Rinaldi wünschten, aber gleichzeitig die Schätze des Landes schützten und deren Wahrung als erste Priorität betrachteten. Dem entgegen standen Bemühungen anderer, die die Insel in eine Touristenhochburg verwandeln und San Rinaldi damit seine Einzigartigkeit und Tradition rauben wollten.
Natalia sah den Weg in die Zukunft klar vor sich. Die besten und wichtigsten Traditionen des Landes sollten bewahrt, gleichzeitig die Wirtschaft gestärkt und damit der Wohlstand verbreitet werden. Aus dieser Grundüberzeugung hatte Natalia nie ein Geheimnis gemacht. Auch war allgemein bekannt, dass sie in ihren Wellnesshotels natürliche Öle und Kräuter als Heilmittel erprobte und einsetzte. Das hatte sich weit über die Insel hinaus herumgesprochen und zahlreiche hochgestellte Persönlichkeiten angelockt.
Solange sie einfach Natalia Carini war,
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