Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
das ›Theater‹ warf, brüllte über die Köpfe hinweg: »Gut, daß ich das sehe! Sonst wanken sie herum wie die Knochenlosen, aber plötzlich sprühen sie vor Kraft. Merken wird man sich das, ihr verdammten Halunken.«
    Am späten Nachmittag bekam Abukow endlich etwas Luft, ging hinüber zu Larissa Dawidowna und setzte sich ermattet auf das Sofa. Sie küßte ihn zärtlich und doch voll Glut, holte Kognak und starken Tee und einen frisch gebackenen Mediwnyk, das ist ein köstlicher Honigkuchen mit Rosinen, Korinthen und feingehackten Walnüssen.
    »Wie die Besessenen arbeiten sie«, sagte Abukow glücklich. »Wenn sie so weitermachen, ist der Bühnenboden morgen abend fertig. Dann werden wir ihn ausprobieren.«
    Sie sah ihn fragend an und verstand ihn offensichtlich nicht. »Wer soll ihn ausprobieren?«
    »Die Gemeinde.« Abukow aß ein Stück Kuchen und trank dazu einen Kognak. »Auch du wirst kommen, nicht wahr?«
    »Wenn ihr mich noch haben wollt …« Sie setzte sich neben ihn und legte den Kopf an seine Schulter. »Du bist jetzt wirklich der einzige, den ich habe. Rassim hat heute morgen geschworen, sich einen Dreck um meine Untersuchungen zu kümmern. Er will allein bestimmen, wer arbeitsfähig ist. Ein harter Kampf wird's werden, ich will mich in Tjumen beschweren. Und die Gemeinde? Sie traut mir nicht mehr. Ganz allein bin ich, Victorenka. Du bist jetzt alles für mich … meine ganze Welt …«
    Am Abend hielt Abukow den früheren Kybernetikprofessor Polewoi fest und nahm ihn zur Seite. »Morgen abend um acht Uhr versammeln wir uns alle auf der Bühne«, sagte er. »Bis dahin brauche ich alle Namen für eine Liste, auf die ich die Freiwilligen schreibe, die sich als Darsteller gemeldet haben. Jeden muß ich mir anhören und prüfen, dagegen kann niemand etwas einwenden. Ihr werdet das Lager verlassen können zur ersten Probe, wenn ihr auf der Liste steht.«
    »Die ganze Gemeinde, Victor Juwanowitsch?« fragte Polewoi zweifelnd.
    »Die ganze! Bis das Ensemble steht, werde ich Hunderte prüfen müssen. Die Gemeinde wird immer mitspielen.«
    »Ich begreife …«, sagte Polewoi. Seine Stimme schwankte leicht. »Gott möge uns alle schützen. – Ich rufe sie für morgen abend zusammen. Die Namen hast du morgen früh.«
    Kein Zufall war es, daß Jachjajew gerade im Vorraum des Hospitals stand, als Abukow bis in die Knochen müde zu Larissa gehen wollte, um sich auf ihrem Sofa ein wenig auszustrecken. In der Halle III hämmerten und sägten noch immer die Schreiner, von Mustai mit Limonade gestärkt und von Gribow mit heimlichen Broten beschenkt, denn auch der dicke Kasimir Kornejewitsch hatte bei Abukow seine Leidenschaft für das Theater angemeldet. Wo gibt es einen Russen, der nicht gern Theater spielt?!
    »Mein lieber Freund«, sagte Jachjajew gönnerhaft und blinzelte mit seinen Schweinsaugen. »Stimmt's, was man so flüstern hört? Sie und Larissa Dawidowna.?«
    »Es stimmt«, sagte Abukow ruhig. »Wir lieben uns.«
    »Gratuliere!« Jachjajew umarmte ihn sogar, als sei die Tschakowskaja seine eigene Tochter. »Jeder hatte schon Angst, daß sie vergißt, eine Frau zu sein. Ein wahrer Retter sind Sie. Man wird wohl jetzt mit ihr besser reden können, was? Oh, früher war sie kalt wie ein Eiszapfen. Mein lieber Victor Juwanowitsch, es hat sich manches zum Guten verändert, seit Sie hier sind.« Er blinzelte ihm wieder zu und beugte sich vertraulich vor: »Nächste Woche fahre ich zu Novella Dimitrowna, um ihr das Kleidchen zu geben. Wenn ich zurückkomme und die gespreizten Finger hebe, wissen Sie: Sieg! Dann werden wir uns besaufen. Nur wir zwei.«
    In dieser Nacht schlief Abukow wie mit Blei gefüllt. Auch der nächste Tag, der Sonntag, war für ihn und für die Bühnenbauer kein Ruhetag. Auch im Lager, in allen Baracken wurde heftig über den Theaterplan diskutiert. Die einen nannten ihn Idiotie, die anderen träumten von zwei, drei Stunden sorgloser Illusion. Große Listen gingen von Block zu Block, in die sich alle eintragen sollten, die sich berufen fühlten, aktiv mitzuwirken. Musiker, Maler, Schneider, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Elektriker. – Der Schriftsteller Miron Salomonowitsch Arikin hatte die personelle Organisation übernommen und ließ die Listen kreisen.
    Schon gegen Mittag stellte sich heraus, welche Fachleute es im Lager JaZ 451/1 gab: neunundsechzig Musiker aller Instrumentenarten, dreizehn Schauspieler, zwölf Sänger, vier Tänzer, dreiundfünfzig Elektriker oder verwandte Berufe,

Weitere Kostenlose Bücher