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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Fünfzehn Häftlinge, die einmal Schreiner waren, warteten vor dem Tor der Halle III und grinsten ihm freudig entgegen. Ihr Sprecher, ein älterer, dürrer Mensch mit hohlen Augen, kam Abukow entgegen, schüttelte ihm die Hand und sagte mit bebender Stimme: »Dank, Genosse. Tausend Dank. Was Sie auch mit uns vorhaben – schlimmer als im Wald kann's nicht sein.«
    »Wir werden eine Bühne bauen«, sagte Abukow, als die fünfzehn ihn umringt hatten. »Ja, ihr dürft die Mäuler aufreißen und staunen. Die Halle III wird als Theatersaal umgebaut. Alle Genehmigungen aus Tjumen liegen vor. Ihr werdet die Bühne errichten, die Kulissen herstellen, ihr werdet sie bei den Aufführungen aufbauen und abbauen. An eurer Arbeit liegt es nun, wann wir mit dem Spielen beginnen können. Je schneller ihr die Bühne fertig habt, um so früher geht der Vorhang hoch.« Er griff in die Tasche, faltete ein großes Blatt Papier auseinander und hielt es hin. »Die Zeichnung für die Bühne ist schon fertig. Wir können sofort anfangen.«
    »Das ist wie ein Wunder«, sagte der lange, dürre Mensch, nahm die Zeichnung in seine zitternden Hände und begann plötzlich zu weinen. »Ein Wunder … Werden wir nie mehr in die Wälder gejagt?«
    »Vielleicht.« Abukow schluckte mehrmals, ehe er weitersprach.
    Auch ihm machte die Ergriffenheit zu schaffen. »Wenn wir ein richtiges Theater haben, werdet ihr immer gebraucht.«
    »Und der Kommandant macht da mit?«
    »Es geht um eine Wette. Scheitere ich mit meinem Theater, will er mich auspeitschen lassen.«
    »Ein Teufel ist er, ein wahrer Teufel«, sagte einer und spuckte aus.
    »Verlaßt mich also nicht!« Abukow sah sich im Kreise um. »An euch liegt es auch, ob alles gelingt. Wann kann das Spielpodium fertig sein?«
    »Das einfache Podium? Ohne die Seitenbauten?«
    »Ja. Nur der Bretterboden.«
    »Morgen abend, Genosse Wundertäter.«
    »Morgen ist Sonntag«, sagte Abukow und blickte kurz empor in den Himmel. »Sonntag abend … das ist eine gute Zeit!« Vom Hospital hörte er Rassims Gebrüll.
    Bis zum Nachmittag hatte Abukow keine ruhige Minute. Er war dauernd in Bewegung, tauchte in allen Werkstätten auf und stritt sich mit dem winzigen Schmied Sakmatow über die Dicke der Eisenstangen, die als untere Verstrebungen den Bühnenboden sicherer machen sollten.
    »Trage ich die Verantwortung oder Sie, Victor Juwanowitsch, wenn die Bühne zusammenfällt?« schrie der Schmiedezwerg, hüpfte um seinen Amboß herum und erinnerte Abukow an den sagenhaften Mimen aus dem Ring der Nibelungen. »Wieviel stehen da auf dem Boden? Na? Fünf, zehn, zwölf …«
    »Wenn wir Boris Godunow spielen: hundert.«
    »Hundert?« Sakmatow warf die Arme hoch. »Haben Sie ausgerechnet, wieviel Kilogramm da auf einen Quadratzentimeter kommen? Da müssen dicke Streben her, ganz dicke! Muß es unbedingt Boris Godunow sein? Mein ganzes Eisen geht dafür weg!«
    Auch der Leiter der Autowerkstatt, Nikita Borisowitsch Rakscha, beschwerte sich. Man hatte ihn tief ins Herz getroffen. »Welch ein Saustall!« hatten die Schreiner gerufen, als sie die leergeräumte Halle betraten. »Da soll eine Bühne hin? Auf diesen öligen Boden? Hier geht es um Kunst, du Achsenschmierer, nicht um Getriebefett.« Rakscha war bis in die Knochen beleidigt, lief mit einer Mördermiene herum und griff sich Abukow.
    »Das war eine Autohalle!« brüllte er. »Haben Sie schon Autos gesehen, die kein Öl verlieren? Soll ich auf jede tropfende Stelle den Daumen draufdrücken?«
    Doch trotz aller kleinen Widerstände ging die Arbeit gut voran.
    Es war erstaunlich, was fünfzehn Schreiner alles leisten können, wenn die Hoffnung sie antreibt, nie mehr in die Sümpfe und Wälder gefahren zu werden – bestand ja damit auch die Aussicht, dieses verdammte Sibirien zu überleben.
    Schon bald zeichnete sich das Spielpodium ab, nach Abukows Plan zehn Meter breit – fast von Hallenwand zu Hallenwand – und sieben Meter tief. Eine Spielfläche, um die ihn manches etablierte Theater beneiden würde. Sakmatow schleppte mit neun Mann Eisenstangen heran, die ausgereicht hätten, um bei ›Aida‹ richtige Elefanten auf die Bühne zu führen. Und in der Schlosserei stellte man große Winkeleisen her, um die Seitenwände der Bühne, den Bühnenrahmen und die Führungsbalken für den Vorhang und einen Rundhorizont so gut wie erdbebenfest zu machen.
    Für einige Stunden arbeiteten fast dreißig Mann in der Halle III, und Rassim, der am Nachmittag neugierig einen Blick in

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