Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
…«
    Das war der Augenblick, in dem Abukow zugriff, Mustai von seinem Stuhl hochriß und ihn gegen die Wand schleuderte, als sei er ein Bündel Stroh. Mirmuchsin krachte gegen das Holz, rutschte an der Wand zu Boden und blieb auf den Dielen sitzen. Das Funkeln in seinen Augen war wie der Blick eines Tigers, bevor er zum Sprung ansetzt.
    »Bleib dort, Mustai …« Abukow atmete schwer. »Ich habe starke Fäuste. Bei Gott, ich halte sie nicht zurück, wenn du aufstehst. – Willst du mir zuhören?«
    »Ich hätte dich doch erwürgen sollen«, sagte Mustai kalt. »Damals in Tjumen. So schön war dein Hals vor mir, und die Schnur juckte in meinen Fingern. Oh, hätte ich's bloß getan! Aber triumphiere nicht. Verräter leben hier nicht lange. Nur ein Aufschub ist's, du Hurenbock. Wenn du's am wenigsten erwartest, hängst du am Baum! Die Zeit läuft uns nicht weg.«
    »Du wirst es nicht begreifen, Mustai Jemilianowitsch, aber ich liebe Larissa. Mein ganzes Leben ist verändert worden. Auf wundersame Art geändert …«
    »So mag es sein! Du hast deine Christen verraten. Ihr Leben wird sich ändern …«
    »Wir werden schon am Sonntag eine Kirche haben und unseren ersten Gottesdienst abhalten«, sagte Abukow fast feierlich. »Auch du bist ein Gründungsmitglied der neuen Gewerkschaft ›Theater Die Morgenröte‹. Du stehst auf der Liste, ebenso wie Gribow, Dshuban Kasbekowitsch, die Leonowa und Morosow. Eine Genossenschaft der Künstler.«
    »Ich – ein Künstler?« Mustai schob sich an der Wand hoch. Rücken und Steiß schmerzten ihn. Kraft hat er, der Victor Juwanowitsch, dachte er anerkennend. Wirklich, ein Bursche mit Muskeln. »Das ist verrückt!«
    »Eine gute Stimme hast du. Und Hirtenflöte kannst du blasen, stimmt das nicht? Du wirst ein gefeierter Darsteller werden.«
    »Ich? Auf einer Bühne? Vor allen Leuten? In die Hosen mach ich mir … das wird ein Schauspiel werden!« Er stieß sich von der Wand ab, aber er kam nur einen Schritt vorwärts, denn sofort duckte sich Abukow und schob die Fäuste vor. »Keinen Ton kann ich singen, wenn du mir die Zähne einschlägst.«
    »Willst du mich ruhig anhören, Mustai?«
    »Es muß wohl sein.«
    »Ich liebe Larissa Dawidowna, das ist das eine. Das andere ist: Ich werde helfen, wo es möglich ist. Ich werde Leben retten, wenn ich es kann. Wir werden eine Kirche haben …«
    »Das erzähl denen, die es angeht – ich bin Mohammedaner. Die anderen glauben dir nicht mehr. Gewartet haben sie auf dich die halbe Nacht. Dann sind sie durch das Loch unter dem Zaun wieder zurückgekrochen ins Lager. Ihr Priester hatte sie verraten … Hurte herum, während sie vor Angst froren …«
    »Es ist meine Schuld, ich leugne sie nicht.« Abukow setzte sich wieder auf Mustais Bett.
    »Welch fröhliches Priesterlein bist du«, sagte Mustai giftig. »Seid ihr nicht die, die im Auftrag eures Gottes Sünden vergeben können? Die sich alles erzählen lassen, was der Mensch so tut, und dann sagen: Bete und bereue, und du bist frei von Schuld. – Laß mich lachen, Victor Juwanowitsch. Du willst Sünden vergeben und badest selbst in Sünden! Das ist wie der Wolf, der ein Schaf reißt und zu ihm sagt: ›Sieh, du tust dein Bestes … du ernährst einen anderen.‹ Ist so eure Religion?«
    »Nach dem Mittag bauen wir die Bühne«, sagte Abukow. Was sollte man auf Mustais Rede antworten? Jedes Wort lag schwer auf seiner Seele. »Kommst du mit?«
    »Welche Frage! In deiner Nähe werde ich bleiben wie dein schlechtes Gewissen.« Mirmuchsin kam nun doch näher; die Erregung der ersten Minuten war verdampft. »Was ist zu tun?«
    »Geh hinüber zu Nikita Borisowitsch Rakscha und sag ihm, daß die Halle III seiner Werkstatt zum Theatersaal ernannt ist.«
    »Ahnt er etwas?«
    »Er wartet darauf. Rakscha spielte in Jugendjahren auf einer Laienbühne. Er wird sogar Hauptrollen übernehmen.«
    »Auch Nikita Borisowitsch!« rief Mustai klagend. »Auch er ein Verrückter! Wie kann die Welt sich ändern bei soviel Schwachsinnigen …«
    Abukow griff zu Mustais Teeglas, nahm einen Schluck, steckte sich eine Scheibe gekochten Schinken in den Mund und verließ die Limonadenbrauerei. Vor dem Hospital schoben sich schon die Krankgemeldeten durch die Tür der Ambulanz. Die Selektion hatte begonnen. Hinter einem kahlen Tisch saß die Tschakowskaja, betrachtete die Elendsgestalten, hörte sich ihre Leiden an und entschied über das Schicksal eines neuen Tages.
    Oberstleutnant Rassim hatte sich gerade geduscht und

Weitere Kostenlose Bücher