Ein Kreuz in Sibirien
Froschgesicht. »Was soll das denn? Was machen Sie denn da?«
»Die erste Probe«, sagte Abukow und lächelte freundlich. »Wir haben die erste Probe, Mikola Victorowitsch. Es geht los mit dem Theater …«
»Mit Knien und Beten?«
»Boris Godunow, Genosse. Der erste Akt. Die Kirchenszene. In drei Wochen proben wir schon mit Musik! Das hier ist der erste Versuch.«
Jachjajew schnappte nach Luft, rannte zurück zu Rassim und fuchtelte mit den Armen.
»Sie proben, Rassul Sulejmanowitsch. Boris Godunow …«
»Ich hab's gehört«, sagte Rassim mit verkniffenem Gesicht.
»Dagegen ist nichts zu sagen.« Jachjajew holte seufzend Atem. »Boris Godunow gehört zum sowjetischen Kulturgut. Wird ständig im Bolschoi gespielt. Ohne Musik sieht's nur komisch aus. Ist ja auch die erste Probe. In drei Wochen, Genosse Kommandant …«
Rassim nickte düster, lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Jachjajew wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
Langsam drehte sich Abukow wieder zu seiner knienden Gemeinde um. Er sah das Zittern ihrer Körper, spürte die heiße Angst trotz der gesenkten Nacken.
»Noch einmal diese Stelle!« sagte er laut. »Mehr Innigkeit, Leute! Ihr müßt immer denken: Da kommt gleich ein neuer Zar. Für den müssen wir beten. In diesen neuen Zar setzt das Volk seine ganze Hoffnung. – Fangen wir an bei der Fürbitte. Noch einmal also …« Er blickte über die bebenden, gesenkten Köpfe und lächelte glücklich. »Herr im Himmel, erhöre uns! Gib uns Kraft für das große Werk, Dich immer zu loben …«
Mit fester Stimme sprach er sein Gebet zu Ende. Dann ging er von Mann zu Mann und segnete ihn. Zuletzt blieb er bei Larissa Dawidowna stehen, hob sie an den Schultern von den Brettern empor und küßte ihre vom Angstschweiß nasse Stirn.
Das Kreuz in Sibirien war errichtet. Vor den Augen Rassims und Jachjajews. Und Rassim sagte sogar leise zu Jachjajew: »Sehr eindrucksvoll. Der Bursche ist begabt. Bin gespannt, was er da auf die Bühne stellt. Da wird sogar Verrücktheit interessant.«
Er verließ die Halle, Jachjajew zögerte noch einen Moment, blickte auf die Bühne und verließ dann auch mit einem Kopfschütteln die ›Probe‹.
Mit einem tiefen Seufzer sank Polewoi gegen den Physiker Lubnowitz. Die Beine versagten ihm.
»Hier war Gott wirklich bei uns«, stammelte er und wurde von den anderen festgehalten. »Wie nahe war unser Ende.«
10
Jeder im Lager wußte es nun, daß Abukow und Larissa Dawidowna ein Liebespaar waren. Nichts Heimliches war mehr um sie. Die Wachsoldaten zwinkerten sich zu, bei den Offizieren kursierten Witze, und Dshuban Kasbekowitsch schlich mit einer Märtyrermiene herum und sagte zu Larissa:
»Reden wir klar und offen darüber, meine Liebe: Sie haben mir eine große Hoffnung geraubt. Ich schäme mich nicht, das zu sagen. Victor Juwanowitsch wäre ein Mensch gewesen, der mir dieses verfluchte Sibirien lebenswert gemacht hätte. Ich weiß, Sie haben Verständnis für mich – auch Sie waren ja bis zu Abukows Auftauchen ein Mensch, der immer auf der Suche nach Erfüllung war. Gratuliere, Larissa Dawidowna, Sie haben es geschafft. Hoffentlich ist es von Dauer.«
Und sie hatte geantwortet: »Was sollte denn passieren, Dshuban?«
»Er könnte versetzt werden zu einer anderen Transportbrigade. Zum Beispiel nach Irbit oder Tawda.«
»Dann gehe ich mit.«
»So einfach ist das nicht.«
»In Tawda gibt es zehn Lager, da braucht man auch Ärzte. Ich würde es durchsetzen, Dshuban!«
»Bei Ihren Beziehungen nach Moskau …« Owanessjan lächelte schräg. »Sie müssen ein glücklicher Mensch sein mit soviel Freiheit im Rücken.«
Die Tschakowskaja schwieg und machte ein freundliches Gesicht, was bei ihr sehr geheimnisvoll wirkte, denn ihre etwas schräg gestellten Augen verengten sich dadurch noch mehr. Das oft kolportierte Gerücht, sie habe einen Onkel im Zentralkomitee der Partei, blieb unwidersprochen. Warum auch dementieren? Zweimal – ganz am Anfang ihrer Tätigkeit im Lager JaZ 451/1 – hatte sie es versucht … Rassim hatte da breit gegrinst, mit dem Bullenkopf genickt und geäußert: »Natürlich, natürlich, schöne Genossin! Nichts ist mit dem Onkelchen im Kreml. So was läutet man ja auch nicht in die weiten Lande. Das trägt man mit sich herum wie einen besonderen Paß, in einem Brustbeutel, auf Ihrer bewundernswerten Brust! Nur im Notfall vorzuzeigen. Verstehe, Genossin. Schweigen wir darüber …« Und das hatte Larissa
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