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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dann auch getan – es lebte sich gut mit dem mächtigen Schatten aus Moskau.
    Anders war die Reaktion bei Abukow s Gemeinde. Nachdem der erste Gottesdienst im Lager – die Probe zu ›Boris Godunow‹ – beendet war, mußten die ›Schauspieler‹ und ein Teil der Handwerker zurück ins Lager. Professor Polewoi , der als einer der wenigen Abkommandierten einen Schlafplatz im Hospital hatte, gehörte zu den Zurückgebliebenen; er half Abukow beim Wegräumen des aus einer Holzkiste bestehenden Altars.
    »Eine Frage habe ich noch«, sagte er zögernd und sah sich mehrmals um, als könne man ihn hören.
    »Ich kenne sie, Georgi Wadimowitsch .« Abukow stellte die Altarkiste in eine Ecke der halbfertigen Bühne. Er hatte die Blicke seiner Gemeinde sehr gut verstanden.
    »Larissa Dawidowna …« Polewoi holte tief Luft. »Es ist dein Leben, Väterchen. Niemand soll dir darein reden. Wer hätte auch ein Recht dazu? Am allerwenigsten wir, die wir von einem Tag zum anderen leben und jeden Morgen den Aufgang der Sonne preisen, weil wir ihn noch einmal sehen können. Keiner wird dich anklagen, ein Mensch bist du unter Menschen. Aber was wird Gott sagen? Nicht ich frage das – in deinem Herzen wirst du es selbst immer und immer wieder fragen. Es wird dich quälen, peinigen, mit Schmerz erfüllen und eines Tages zerreißen. Davor haben wir Angst, wir alle. Wir sind ja auch Männer und begreifen, wie herrlich es sein kann, Larissa in den Armen zu halten, ihren Körper zu spüren, ihre Leidenschaft mit allen Poren aufzunehmen … Aber du bist ein Priester. Jedes Streicheln deiner Hände über ihren Körper ist eine Wunde mehr in deinem Gewissen. Kannst du das aushalten, Victor Juwanowitsch ? Wirst du nicht eines Tages, früher oder später, daran zugrunde gehen? Und was ist dann? Was wird dann aus uns? Allein sind wir dann wieder. Deswegen haben wir alle Angst …«
    »Ich liebe sie«, setzte Abukow dagegen und nahm auf der Kiste Platz, die sein Altar gewesen war. »Und ich habe mit Gott in langen Nächten schon gestritten …«
    »Was ist dabei herausgekommen?«
    »Ein Waffenstillstand, wenn man so will.« Abukow starrte in die weite, leere Halle. Am anderen Ende arbeiteten noch immer neun Schreiner und sägten die Balken zurecht für den Bühnenrahmen. Auch der kleine Schmied Sakmatow war wieder da und hatte die Winkeleisen für die Verstrebungen angebracht.
    Rakscha , der Leiter der Autowerkstatt, wartete auf Abukow an der Tür. Er hatte einen Motor aufgetrieben. Ein uraltes Ding, das er wieder in Gang bringen und auf der Bühne einsetzen wollte, um den Vorhang zu bewegen. Der einzige Fehler war nur, daß der Motor einen Riesenkrach machte. Wie konnte man verhindern, daß jedesmal beim Öffnen oder Schließen des Vorhanges ein gewaltiges Rattern losbrach?
    Noch immer sprach Abukow mit Polewoi , der ihn gerade fragte: »Was wird sein, wenn Larissa – möglich ist es ja – aus Sibirien abberufen wird? Wirst du mit ihr gehen? Läßt du uns allein zurück?«
    »Nein!« sagte Abukow fest. »Nein! Nie, mein Bruder! Ich bleibe immer bei euch, solange es euch gibt – solange Menschen in diesem Lager Gott brauchen.«
    »Darüber hast du mit Larissa schon geredet?«
    Abukow schüttelte den Kopf. »Ich glaube, daß sie es weiß …«
    »Davon bin ich nicht überzeugt«, sagte Polewoi stockend. »Man soll den Glauben nicht strapazieren, Väterchen, wenn es um die Liebe einer Frau geht.«
    Er klopfte Abukow auf die Schulter, sah ihn schweigend mit einem langen Blick an und verließ die Bühne. Abukow hätte noch viel sagen können, aber auch er schwieg und blieb in Gedanken versunken sitzen, bis der Genosse Rakscha von der Autowerkstatt zu ihm trat. Mit Sakmatow , dem Schmied, hatte er gerade einen Streit begonnen. Natürlich ging es um den Motor, auf den Rakscha so stolz war.
    »Mit Sakmatow ist nicht zu reden!« knurrte er und setzte sich neben Abukow auf die Altarkiste. »Geahnt habe ich es schon immer: Die Hitze seines Schmiedefeuers hat ihm das Hirn verbrannt. Ich stifte einen Motor, und was sagt der Zwerg? ›Zu laut, und außerdem stinkt er! Wir machen hier Kultur und keinen Autoaustausch!‹ Soll man sich das bieten lassen, Victor Juwanowitsch ? Was ist Ihre Meinung dazu? Bis wir einen starken Elektromotor bekommen, der den Vorhang bedient, kann mein Motor beste Dienste leisten. Stört es denn wirklich so sehr, wenn er vor und nach einem Akt knattert? Dann weiß jeder, auch wenn er geschlafen hat: Aha, wieder ein Stück ist zu

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