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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wehte, blies er zum Angriff.«
    »Ich glaube, Sie haben den falschen Paß herausgesucht, Genosse!« sagte Abukow trocken und steckte sich wieder eine Zigarette an. »Mein Gelübde der Keuschheit.«
    »Das müssen Sie entscheiden, Brüderchen.« Battista fegte sich die wehenden weißen Haare aus dem Gesicht. Vom Tiber strich ein warmer Wind zu ihnen hinüber. »Ausnahmesituationen kennen keine Dogmen. Doch gerade diesem Problem kann man ausweichen.« Er sah Abukow forschend an. »Wieso haben Sie gerade davor Angst?«
    »Ich sehe da einen Bruch in meiner Rolle als kraftstrotzender Kerl.«
    »Wenn das Ihre ganze Sorge ist, Victor Juwanowitsch!« Battista lachte und sprang auch von der Mauer. »Gehen wir zu mir und sprechen wir über wichtigere Dinge, die Sie zu überwinden haben. Ich habe mit Ihrem Prälaten und mit Ihrem Ordensgeneral gesprochen. Sie sind ein ganz Schlimmer, Abukow! Ein Abtrünniger. Sie haben Knall auf Fall Ihren Orden verlassen und einen Brief hinterlassen, der so etwas wie ›Leckt mich am Arsch‹ bedeutet. Man wird Sie hinauswerfen und Ihnen die priesterlichen Funktionen aberkennen!«
    »Das … das können Sie nicht machen …«, stotterte Abukow entsetzt. »Das mache ich nicht mit!«
    »Es muß sein, um Sie aus allen Listen zu streichen. Sie tauchen unter – unbekannt verzogen. Sie werden ein Nichts. Es gibt keinen Stephan Olrik mehr.«
    Abukow blickte schweigend über den Tiber, hinüber zur Engelsburg und dann weiter zu der Kuppel des Petersdoms. Ich bin schon tot, dachte er mit schwerem Herzen. Zweifach tot, denn auch Abukow liegt ja unter der Erde. Ich lebe nur noch als Schatten. Eine Art Phantom, das sich irgendwann einmal in der Taiga auflösen wird.
    »Und … und wenn ich doch einmal aus Sibirien zurückkomme?« fragte er tonlos.
    »Welch eine Frage, Victor Juwanowitsch.« Battista faltete die Hände und senkte den Kopf. »Es gibt Entscheidungen, die endgültig sind.«
    Sechs Wochen später ruderte ein ungarischer Fischer einen schmalen, dunkelbraunen, in der Nacht untertauchenden Kahn über das Flüßchen Tisar und setzte auf sowjetischer Seite einen einzelnen Mann ab. Außer einem kleinen Pappkoffer und einem Brotbeutel aus Segeltuch, wie es das russische Militär trug, hatte der Mann auch ein uraltes klapperndes Fahrrad aus der Fahrradfabrik von Minsk bei sich. Er schob es das Ufer hinauf, winkte dem Fischer noch einmal kurz zu und schwang sich dann in den Sattel. Koffer und Brotbeutel hatte er hinten mit faserigen Stricken festgebunden.
    Es war eine dunkle Nacht mit einem schmalen Neumond, aber er kam auf der guten Straße zügig voran und erreichte nach einer Stunde die Stadt Beregowo. In einem Heustadel, voll mit frischer Mahd, machte er es sich bequem und wartete den Morgen ab.
    Ein Priester war unterwegs nach Sibirien.

2
    Der Winter in Sibirien war fürchterlich gewesen. War man es mittlerweile gewöhnt, bei klirrendem Frost von 40 Grad unter Null in der freien Natur zu arbeiten, vor allem im Wald, wo man die Stämme schlug, die hart wie Stahl waren – so kam jetzt etwas anderes hinzu: Der Auftrag lautete, durch die Taiga den Weg für die Gaspipeline zu legen.
    Das bedeutete vielerlei. Zunächst mußte längs der Rohrleitung eine feste Straße gebaut werden, die man auch im Frühjahr und im Herbst befahren konnte, wenn alles sich in einen grundlosen Sumpf verwandelte: im Frühjahr durch das Schmelzwasser und wenn die Flüsse über die Ufer traten und ganze Landstriche zu brodelnden Seen wurden – im Herbst, wenn vor dem großen Schnee der Regen niederrauschte und das ganze Land ersoff, weil das Wasser nicht wußte, wohin es abfließen konnte. Also mußten Kanäle gebaut werden. Und Dämme, welche die Straßen schützten. Die Trasse der Pipeline mußte so geführt werden, daß sie immer zur Kontrolle erreichbar war. Und es mußten Stationen errichtet werden, Blockhaussiedlungen, nicht zuletzt Unterkünfte für die Facharbeiter, die Spezialisten, die an der eigentlichen Rohrleitung bauten.
    Beginnend bei den Erdgasfeldern in den Riesensümpfen des Pur nahe der gewaltigen, von den Halbinseln Jamal und Gydansskiy gebildeten Ob-Bucht bis hin zum südlichen Ural entstand eine Röhrenstraße von über 2.000 Kilometern Länge, die dann auf die andere gigantische Gastrasse stieß, die vom europäischen Rußland nach Osten, nach Sibirien, gebaut wurde. Zwei Arbeitsgruppen gab es: eine Gruppe, die zehn und mehr Stunden unter höllischen Bedingungen schuftete und das Gelände

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