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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vorbereitete und planierte – und eine andere, kleinere Gruppe, die mit riesigen Baggern und Kränen, automatischen Schweißgeräten und einem Heer von Spezialwagen die Röhren verlegte und die Pumpstationen ausbaute.
    Die eine, die größere Gruppe, existierte offiziell überhaupt nicht: es waren Sträflinge. Die andere, kleinere Gruppe, bestand aus den fröhlichen Facharbeitern, die meist freiwillig in dieses wilde Land gekommen waren – und allein sie wurde vorgezeigt, falls es einmal nötig war, die Weltöffentlichkeit von dieser Jahrhundertleistung Sibirien-Pipeline zu überzeugen.
    Jachjajew, als politischer Kommissar für das Gebiet des Surgut zuständig, leistete darin Vorbildliches. Als zu Beginn des schrecklichen Winters eine neue Konstruktionsgruppe ausgerechnet in den Bezirk des Lagers JaZ 451/1 verlegt wurde und eine von Häftlingen gebaute Siedlung aus steinernen Baracken bezog, leistete sich Moskau – der Satan wußte, wer dafür verantwortlich war! – den Blödsinn, eine Gruppe westlicher Journalisten in vier Großhubschraubern einen Teil der Pipeline abfliegen zu lassen. Landen durften sie nicht, Gespräche auf der Erde waren sowieso ausgeschlossen – aber Jachjajew hatte größte Mühe, die Gastrasse von Sträflingen freizuhalten und dort nur die Spezialtrupps zu postieren. Diese blickten dann vergnügt nach oben und winkten den westlichen Journalisten zu: Seht, so glücklich sind wir in Sibirien! Wir wissen alle, wofür wir arbeiten: für den Fortschritt, für den Sozialismus! Die ganze Welt soll teilhaben an dem Reichtum dieser noch jungfräulichen Erde. Gas für alle. Öl für alle. Milliarden Devisen werden hereinkommen, mit denen wir wieder Getreide, Butter, Fleisch und Saatgut kaufen können. Rußland wird das reichste Land der Erde sein. Genossen, laßt euch gesagt sein: Die Erde kann gar nicht so lange bestehen, bis man Sibiriens Schätze restlos gehoben hat! Jeder Schritt auf diesem Boden ist ein Tritt auf bares Gold!
    Jachjajews Arbeit war wie immer vorzüglich. Die Journalistenhubschrauber schwirrten davon, in Tjumen gab es ein Festessen mit Kaviar, Stör, Marinowannye Griba (das sind marinierte Champignons), Tuschenaja Kuriza Pod Sousom is Tschernosliw (geschmorte Poularde mit Pflaumensauce) und als Nachtisch Gurew Kascha, ein Grießauflauf mit Nüssen und kandierten Früchten. Da sage doch einer, zum Teufel, man lebe schlecht in Sibirien! Die westlichen Journalisten zogen jedenfalls sehr zufrieden nach Hause und schrieben, es gäbe keine Sklaven an der Pipeline. Und die Regierungen im Westen atmeten auf.
    »Was sollte das?« schrie Jachjajew, als die Aktion beendet war. »Ha, wo finde ich die Idioten, die so etwas anordnen? Besichtigungen der Trassen. Haben wir nicht andere Sorgen? Wer will Gas, frage ich? Wir vom Westen oder der Westen von uns? Wer friert sich den Arsch ab, wenn kein Gas läuft? Wessen Industrie geht in die Binsen, na? Aber dann das Maul aufreißen und kontrollieren wollen, ob wir hier bei Sahnetörtchen und Likör die Röhrchen aneinanderschweißen! Wir liefern Gas – wie, das ist unsere Sache.«
    In Wut redete er sich, der kleine dicke Mikola Victorowitsch, hieb mit den Fäusten auf den Tisch und spuckte gegen die Wand, wenn er Westen sagte.
    Das neue Ingenieurkombinat war nun vollzählig bei Surgut eingetroffen, hatte die neuen Steinbaracken bezogen und stand unter der Leitung des Chefingenieurs Wladimir Alexejewitsch Morosow. Das war ein stiller, ernster, verschlossener Mensch, dreiundvierzig Jahre alt, der mit acht Jahren seinen Vater verlor, als dieser Berlin stürmte und einer der letzten Toten im Großen Vaterländischen Krieg war.
    Wladimir Alexejewitsch war nicht verheiratet, und man sagte von ihm, daß er lieber mit seinen Zeichnungen von Kompressoraggregaten schlafe als mit einem warmen Frauenkörper. Selten sah man ihn lachen. Aber verzog er einmal die Lippen zu einem Lächeln, dann blitzten vorn zwei Goldzähne. Ein wohlhabender Genosse also.
    Mit Jachjajew, der seit dem Einzug der Ingenieurstruppe und des neuen Zentralbaubüros fast täglich heranfuhr, weil Morosows Sekretärin Novella Dimitrowna Tichonowa ein verdammt hübsches, schmalhüftiges und prallbrüstiges Mädchen war, unterhielt er sich nur in knappen Sätzen. Er überließ es Jachjajew, sich vor Novella zu produzieren mit seinen unerschöpflichen Schimpfkanonaden. Ein paarmal lud der Politkommissar das süße Püppchen zu einem Spaziergang ein, zu einer Fahrt ins Kino nach Surgut oder

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