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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Heute weiß man, daß es 253 Straflager gibt. Ich kann Ihnen eine Liste zeigen mit genauen Ortsangaben. Sogar die Postadressen kennen wir. Aber das ist nur ein Teil des Ganzen – viele andere sind unbekannt. Man erfährt nur durch Erzählungen von verlegten Sträflingen davon. Allein im Bezirk Perm liegen über fünfzig Lager. Große Lagerkomplexe gibt es in Komi und im Gebiet von Kasachstan. Und überall versuchten wir, Trost durch Gottes Wort zu spenden. Aber – ich sagte es schon – die Verluste waren ungeheuer. Der Märtyrertod unserer Brüder bewog sogar Pius XII. auf die Weiterführung dieser Aktion zu verzichten. Unter Paul VI. und erst recht unter Johannes XXIII. wurde solch ein Einsatz völlig verboten. Und so ist es auch heute noch! Nur einige Bibelgesellschaften schmuggeln noch Bibeln in den verschiedenen sowjetischen Dialekten und Völkersprachen über die Grenzen – aber das sind Privatinitiativen. Bis auf die Aktionen der rührigen Baptisten in den Vereinigten Staaten von Amerika, die noch immer Prediger einschleusen, ruht auf unserer Seite alles …«
    »… wenn es nicht einen Monsignore Giovanni Battista und seine Freunde gäbe«, sagte Pater Olrik mit belegter Stimme. Der lange Bericht Battistas hatte ihn seltsam ergriffen. Wohl hatte er in den vergangenen Jahren, vor allem bei der Beschäftigung mit der Ostkirche, von heimlichen Arbeiterpriestern gehört – aber dies war während des Studiums ein Thema, das man nicht ausführlich behandelt hatte. Und, wollte er ehrlich sein, es hatte ihn auch nicht sonderlich interessiert. Seine orthodoxe Ausbildung betrachtete er mehr mit wissenschaftlichem Interesse. Nun hatte Battista ihm einen ersten Einblick in ein Leid gewährt, das ihn jetzt mit unerklärlicher Gewalt erschütterte. Eine andere Welt hatte sich ihm eröffnet.
    »So ist es, Stephanus.« Battista legte das Brevier beiseite und fuhr sich wieder mit dem Zeigefinger in den steifen Kragen.
    Es war heiß. Und er war innerlich erregt. »Wir haben wieder einen Verlust zu beklagen. Unsere Arbeit konzentriert sich seit einiger Zeit auf den Bau der Erdgas-Pipeline von Urengoj bis Tscheljabinsk. Entlang dieser Trasse sind eine Reihe berüchtigter Straflager entstanden. Zum Teil alte, bereits vorhandene Lagergruppen, bei Surgut sind drei. Bei Tjumen gibt es das Lagerkombinat Ust-Ischim, das auf keiner sowjetischen Karte steht – und es gibt bei Surgut am Ob das gefürchtete Lager JaZ 451/1. Hier war es über den schrecklichen Umweg einer Verurteilung zur Zwangsarbeit unserem Bruder Pieter van Orbourgh, einem Holländer, gelungen, eine heimliche Pfarrei aufzubauen. In vier anderen Lagern gründeten sich daraufhin kleine Glaubensgruppen – so sehr strahlte seine Wirkung aus, und so verzweifelt suchen diese armen Menschen Gott und seinen Trost.«
    Monsignore Battista sah Pater Olrik jetzt voll an: »Erst vor vier Wochen erfuhren wir nun, daß unser Bruder Pieter van Orbourgh gestorben ist. Durch einen ganz dummen Unfall: Eine Eisenbahnschwelle fiel ihm beim Abladen auf den Kopf. Pjotr ist tot. Die Lagergruppe um JaZ 451/1 ist ohne Priester.«
    »Und ich … ich soll jetzt nach Sibirien? An Pjotrs Platz.?« Olrik holte tief Luft, legte die Hände ineinander und spürte, daß sie trotz der Wärme des Tages eiskalt waren. Obwohl sein Blut in den Adern rauschte, so daß er meinte, man müsse dieses Geräusch hören, überzog Kälte seine Haut. »Wie … wie haben Sie sich das gedacht, Monsignore?«
    »Den technischen Teil besprechen wir später in aller Ruhe.« In Battistas Blick war ein deutlicher Ausdruck von Ergriffenheit; er konnte nachempfinden, wie es in Pater Stephanus aussah. Da sitzt man auf einer Bank in den herrlichen Gärten der Villa Borghese, umgeben von Blüten und Blumen, und jemand sagt so daher: Du wirst in Sibirien gebraucht. Bei den toten Seelen. Bei den Vergessensten aller Vergessenen. Das Straflager JaZ 451/1 wartet auf dich. Es wartet auf dich vielleicht der sichere Tod.
    »Was ich jetzt von Ihnen erwarte«, sagte Battista vorsichtig und in einem milden väterlichen Ton, »ist ein Nein! Niemand nähme Ihnen das übel. Über Ihr Leben bestimmen Sie allein. Ich wage zu behaupten, daß selbst Christus Ihnen das nicht befehlen würde.«
    »Sie haben mein Gewissen angesprochen, Monsignore«, erwiderte Olrik und schluckte mehrmals dabei, als müsse er jedes Wort hochwürgen. »Mein Gewissen als Priester. Da gibt es nur eine Antwort.«
    »Fühlen Sie sich nicht gezwungen,

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