Ein Kreuz in Sibirien
Einleitung.
»Liegt in meinem Bett und schnarcht«, antwortete Gribow überrascht. »Soll er geweckt werden?«
»Nicht auf die übliche Art!« Rassim grinste zufrieden. »Ab sofort suchen Sie ein anderes Bett für sich, Kasimir Kornejewitsch . Ein Befehl ist das. Ihre Wohnung betreten Sie bis Sonntagmorgen nicht mehr.«
»Genosse Kommandant …«, stotterte der arme dicke Gribow und begann fürchterlich zu schwitzen. »Wie kann man so einfach stehenden Fußes ausziehen? Noch einiges mitnehmen sollte man …«
»Bis Sonntag kann man improvisieren!« brüllte Rassim und zeigte damit an, daß keine Diskussion mehr möglich war. »Ab sofort schlagen Sie einen Bogen um Ihre Wohnung!« Er ging an dem bebenden Gribow vorbei, stieß die Tür auf, blickte in den Flur, hörte von irgendwoher das röchelnde Schnarchen von Bataschew und winkte Axinja herbei. »Der Teufel hole dich, wenn der Kerl am Sonntag noch hüpfen kann!« zischte er ihr zu, gab ihr einen Stoß in den Rücken und warf dann die Tür zu.
Kabulbekow kratzte sich die kurze, breite Nase. Er staunte immer wieder, wie simpel Rassim seine Probleme löste; schnell und komplikationslos. Ein Befehl, ein bißchen Brüllen, und schon tanzen die Bären nach jedem geflüsterten Ton. Zu bewundern war das – auch wenn man Rassim zu jeder Minute hätte den Schädel einschlagen können.
»Gehen wir zu mir!« sagte Rassim zu ihm und bedachte den fassungslosen Gribow mit keinem Blick mehr. »Bis zu Ihrer Abfahrt wollen wir einen guten Wein trinken und eine Partie Schach spielen, Belgemir Valentinowitsch . Sie sollen ja ein vom Satan geschulter, raffinierter Schachspieler sein.«
Im ›Theater‹ hatten die Frauen Abukow umringt, und Anastassija Lukanowna Lasarjuk , die ehemalige Geliebte des Ministers, sagte mit gefalteten Händen: »Vater, hier sind wir. Alle gehören zur Gemeinde. Aber es warten auf dich im Lager dreihundertvierundneunzig, die deine Stimme und Gottes Wort hören wollen. Was sollen wir tun?«
»Wenn das Theater erst einmal spielt, werde ich auch zu euch ins Lager kommen«, sagte Abukow und breitete die Arme aus. »Wir werden eine große, wunderbare Kirche haben unter dem weiten Himmel von Sibirien.«
Nach Einbruch der Dunkelheit fuhr Oberst Kabulbekow mit neunzehn Frauen wieder aus dem Lager ab. Eine, natürlich, blieb zurück – aber so genau hatte keiner von den Beobachtern gezählt. Nur Gribow irrte heimatlos herum und klagte bei Nina Pawlowna sein Leid.
»Ausgesperrt bin ich!« jammerte er auch Abukow vor. »Vertrieben, entrechtet. Was macht man jetzt mit meinem Bett? Natürlich, Bataschew ist mein Freund – aber darf das so weit gehen, daß er mich drei Tage lang verjagt und in meinem schönen Bett die Federn niederwalzt? Victor Juwanowitsch , wie kann man das verstehen? Was geht hier vor? Da kommt einfach der Genosse Kommandant vorbei, legt ein Hurenstück zu mir ins Bett. Nicht an meine Seite – dafür hätte ich ihm gedankt – nein, für Bataschew . Voller Rätsel ist das Leben.«
Abukow wußte auch keinen Rat zu geben. Was er da hörte, war ungeheuerlich genug, Mustai bestätigte es ihm. Dem Boxer war auf allerhöchsten merkwürdigen Befehl ein unerhörtes Weib auf die Matratze gelegt worden.
»Wir werden die Hintergründe bald erfahren«, tröstete Abukow den schlotternden Gribow . »Auch Bataschew muß einmal essen – dann meldet er sich.«
»Randvoll ist mein Kühlschrank!« schrie Gribow verzweifelt. »Selbst für einen Bataschew reicht's eine Woche!«
Nach der Abfahrt der Frauen wagte es Mustai , in Gribows Wohnung zu schleichen. Er kam vom Magazin herein, blieb lauschend stehen und kehrte dann um.
»Nun?« fragte Gribow , der draußen gewartet hatte.
»Nichts. Kein Laut …«, sagte Mustai erstaunt. »Nicht einen Hauch von Kampflärm …«
Abukow war in seine Theaterhalle zurückgekehrt und setzte sich auf der Bühne in das imponierende grüne Plüschsofa. Alle Lichter waren gelöscht bis auf eine trübe Lampe, die an einem Draht von der Decke herunterhing. Sie verbreitete gerade so viel Helligkeit, daß man die einzelnen Gegenstände erkennen konnte – die komplette, zusammengestohlene Wohnungseinrichtung eines gutbürgerlichen Zimmers.
Abukow lehnte sich zurück, schloß müde die Augen und überdachte den vergangenen Tag. Ein reicher Tag war es gewesen mit vielen kleinen Schritten zum Ziel, sein Kreuz in Sibirien aufzurichten. An Pjotr dachte er, den kleinen, schmächtigen Pater Pieter van Orbourgh aus dem
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