Ein Kreuz in Sibirien
höre!« – Das war alles gewesen. Nun rätselte sie herum, warum man sie im heißen Bad abgeschrubbt, entlaust und so herausgeputzt hatte. Mit den ›Theaterdamen‹, wie man im Frauenlager bereits die für Abukow Ausgewählten nannte, hatte sie nichts zu tun. Sie war in ihrem Leben noch nie in einem Theater gewesen, sondern nur dreimal im Sowjetischen Staatszirkus, wenn er ein Gastspiel gegeben hatte.
»Nach strengen Maßstäben habe ich ausgesucht«, sagte Kabulbekow jetzt und wies auf die neunzehn Frauen. »Das sind die besten. Die Musikerinnen teste ich noch. Keine leichte Aufgabe, Abukow … Die meisten spielen Klavier, Geige, Flöte. Wie soll man sie ohne Instrument prüfen? Ja, und dann habe ich da noch eine ganz besondere Seltenheit: eine Posaunistin. War mir völlig unbekannt, eine Frau mit Posaune. Was tun ohne Posaune? In einen leeren Papiersack habe ich sie blasen lassen – das hätten Sie mal sehen sollen! Als er prall voll Luft war, schien mir klar: Das ist eine gute Posaunistin! – Ihre Meinung, Victor Juwanowitsch ?«
»Mein Vertrauen ist voll bei Ihnen, Genosse Oberst«, sagte Abukow , und es war schwer, ein Lächeln zu unterdrücken. »Wir werden mit Ihrer Hilfe ein vorzügliches Theater spielen können.«
Während er mit den neunzehn Frauen zur Bühne ging, blieben die Lagerkommandanten Rassim und Kabulbekow mit dem Mädchen im kurzen blauen Kleidchen und den Korkenzieherlocken am Eingang zurück. Rassim sah seinen Kollegen fragend an. »Ist sie das?«
»Nichts Besseres gibt es.« Kabulbekow hob die Hand. »Erzähl deine Geschichte!«
Das Mädchen drückte sich ängstlich gegen die Holzwand. »Ich heiße Axinja Iwanowna Wassiljuka «, sagte sie schüchtern. »Geboren in Smolensk, vierundzwanzig Jahre alt, verurteilt zu fünfzehn Jahren Arbeitslager wegen Totschlags. Ich habe in Smolensk viele Männer kennengelernt und einen Kerl getötet, der mir hinterher das Geld wieder abnehmen wollte …«
»Ganze fünf Rubel!« rief Kabulbekow . »Welch ein Geizkragen bei solch einer Frau! Hätte ihn auch umgebracht. Rechtlich ist das natürlich verwerflich. Mein lieber Rassul Sulejmanowitsch , Axinja war die beste Hure von Smolensk! Nach ihrer Verhaftung trugen unzählige Männer Trauerflor am Ärmel und einen schwarzen Schlips.«
»Kennt sie ihre Aufgabe?« fragte Rassim zurückhaltend.
»Nur in der Andeutung.«
»Dann sagen wir es deutlich.« Rassim starrte Axinja Iwanowna herausfordernd an. »Du legst dich gleich zu einem Kerl ins Bett, der viel überschüssige Energie hat. Bis Sonntagmorgen hast du Zeit, ihm vom Kopf bis zu den Zehen die Kraft herauszuholen. Er muß so weit sein am Sonntag, daß er nach einem Stock sucht, um sich aufrecht zu halten.«
Kabulbekow staunte. Nachdem er sich wieder etwas gefangen hatte, nickte er Axinja ermunternd zu. »Sie schafft es, nicht wahr? Sag dem Genossen Oberstleutnant, daß du den Burschen aushöhlst.«
»Ja«, antwortete Axinja gehorsam, »alle Mühe werde ich mir geben.«
»Verschenken wir keine Minute!« Rassim blickte zur Bühne. Dort war Abukow von den Frauen umringt und sprach zu ihnen. Es war nicht zu sehen, daß er gerade mit ihnen betete. »Wann fahren Sie wieder zurück, Belgemir Valentinowitsch ?«
»Es ist abhängig von dem, was Abukow mit den Frauen zu besprechen hat. Auch ich habe noch einiges zu sagen. Das Theater beschäftigt mich sehr. Wie ist's bei Ihnen, Rassul Sulejmanowitsch ?«
»Ein Irrsinn ist es, sage ich«, knurrte Rassim und stieß die Tür der Halle auf. »Bei mir schuftet man seine Strafe ab, aber man spielt nicht Schiller.«
Er gab Axinja einen Wink und ging voraus zum Magazin. Kabulbekow und Axinja folgten ihm. Magazinverwalter Gribow , der noch immer in der Tür stand, ahnte Schlimmes, als er die beiden Kommandanten mit der unbekannten Frau auf sich zukommen sah. In der Zwischenzeit war Limonadenverkäufer Mustai um die Autowerkstatt herumgeflitzt und hatte sich von hinten, durch eine kleine Eisentür, auf die Bühne geschlichen. Da hockte er nun hinter Bataschews Küchenschrank und stierte mit gierigen Augen auf die kleine Flötistin Lilit Iwanowna , die ihm von allen diesen Weibern am besten gefiel. Sie war zart und wirkte anschmiegsam – genauso hatte er sich eine Frau immer gewünscht.
Gribow stand stramm, als Kabulbekow und Rassim ihn erreichten. Vor zwei Obersten ist es immer das beste, auch als Zivilist militärische Tugenden zu beweisen.
»Was macht der Genosse Bataschew ?« fragte Rassim ohne
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