Ein Kuss fur die Unsterblichkeit
beiden die gewaltigere Zielscheibe
abgebe, und ich werde dieses Spiel so skrupellos wie jeder Gegner spielen. (Auf
die Gefahr hin, dass ich anmaßend
klinge, viel skrupelloser – und auch geschickter.)
Die
Frage ist also: Ist der Vampir, der an meinem Stuhl sägt, selbst unglaublich
mutig und mächtig oder einfach dumm?
Oder ist die Verschwörung etwa so gerissen, dass ich etwas übersehe? Ein
mögliches Ende, das ich mir noch nicht vorstellen kann?
Das sind
die Fragen, die zu beantworten sind – und zügig, Bruder.
Ich
bitte dich auch darum, unter der Hand weiterzutragen, dass, wenn Antanasia
während meiner Inhaftierung irgendetwas
zustoßen sollte, ich nicht nur diese Wände Stein
für Stein einreißen werde, sondern – wenn ich erst einmal frei bin – das
Rechtsstaatsprinzip zunichtemachen und
jeden, der nur den geringsten Verdacht in mir erregt, mit
größter Genugtuung vernichten werde. Wenn meiner Frau auch nur ein Haar gekrümmt
wird, während ich sie nicht
beschützen kann, wird dieses Königreich eine Vergeltung erleben, die sich in
den Geschichtsbüchern wiederfinden wird – und wovon die wenigen, die überleben
werden, noch in Jahrzehnten werden lesen können.
Lucius
PS: Du
wirst bemerkt haben, dass ich es vorziehe, mit Dir zu kommunizieren und nicht
mit Antanasia. Ich darf zwar keine Besucher empfangen, aber bisher gibt es
keine Regel, die besagt, dass es verboten ist, in schriftlicher Form zu
kommunizieren. Da ich weiß, wie geübt du darin bist, Hindernisse listig und
geschickt zu überwinden, bin ich mir sicher, dass du keine Schwierigkeiten
haben wirst, einen Briefwechsel aufrechtzuhalten, ohne dass jemand auf diese
Lücke im Gesetz aufmerksam wird. Und wenn ich anfangen sollte, schwach oder gar
verwirrt zu werden, würde ich Antanasia nur Sorgen bereiten und sie von ihren
Pflichten ablenken, die sie jetzt tapfer schultern muss. Es ist besser für
sie, nicht mitzubekommen, wie ich – lass uns ehrlich sein – unvermeidlich
abbauen werde, sollte meine Haft weiter andauern. Um es kurz zu machen, ich
erwarte Deine absolute Diskretion, was unsere Korrespondenz angeht.
PPS: Ich
wäre Dir auch sehr dankbar, wenn Du mir in Deinem Brief kurz die neuesten
Ergebnisse in der NBA mitteilen könntest.
Kapitel 50
Mindy
Mitten in der Nacht rüttelte mich jemand
wach und ich wollte schon losschreien, aber dann sah ich Jess auf meinem Bett
sitzen. Eigentlich hätte ich trotzdem beinahe laut aufgeschrien, weil, sie sah
echt scheiße aus. Als wenn sie die ganze Nacht nicht geschlafen hätte – was ich
ehrlich gesagt auch nicht getan hatte, denn es gibt nichts Schlimmeres als
einen Schneesturm in den rumänischen Bergen, auch wenn man in einer steinernen
Burg ist.
Dann fiel
mir wieder ein, was los war, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich in
so einer Situation an Jess' Haare dachte.
»Was ist
passiert?«, fragte ich und sah auf meine Hello-Kitty-Uhr. Es war schon sieben
Uhr morgens. »Wie war das Treffen?«
»Es war
furchtbar«, sagte sie. »Sie haben Lucius abgeführt und jetzt sitzt er in
Isolationshaft.« Dann guckte sie ganz komisch. »Und ohne Blut, womit ich nicht
gerechnet hatte.«
»Oh, Gott,
Jess, das tut mir so leid. Aber was heißt das?«
»Er ... wir
... können ohne Blut nicht lange überleben«, erklärte sie mir. »Wir – Vampire – fallen dann in einen Zustand der Bewusstlosigkeit, der schlimmer ist als
Koma.«
Wow, ihr
Leben wurde anscheinend von Tag zu Tag nur noch schlimmer und ich wusste
überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Ich machte einfach ein bisschen Platz im
Bett und sie kletterte hinein, wie früher, als wir Kinder waren und beieinander
übernachtet hatten.
Aber dann
wechselte sie auch schon das Thema. »Ich bin eigentlich nicht gekommen, um über
Lucius zu sprechen. Ich wollte dich vor allem nach Raniero fragen. Was zwischen
euch passiert ist – und wie du ihn findest. Ganz ehrlich.«
Ich nahm
an, es machte keinen Sinn mehr, das Schlamassel zu verheimlichen. Das wirklich heiße Schlamassel. »Ich hätte es dir schon vor Monaten erzählen sollen«,
sagte ich. »Aber es war mir so peinlich, dass ich von eurer Hochzeitsparty
abgehauen bin, um mit ihm rumzuknutschen.« Ich wurde rot. »Das war nicht so
nett.«
»Kein
Problem«, versicherte sie. Ich war froh, sie lächeln zu sehen, wenn auch nur
ein kleines bisschen. »Ich weiß, wie es ist, wenn man wegen eines Vampirs im
Smoking nicht mehr klar denken kann.«
»Tja, nur
dass Ronnie den Smoking nicht
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