Ein Kuss und Schluss
staatliche Obhut zurückzubringen, und da ich in dieser Nacht schon mehr Spaß mit dir hatte, als mir lieb ist, werde ich bereitwillig die Verantwortung an ihn abtreten.«
»Bitte, John! Bitte lass nicht zu, dass er mich zurückbringt! Er ist so wütend ...«
»Warum? Weil du seinen Wagen angezündet hast? - Ach nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass er deswegen wütend ist.«
»Du weißt, wie er ist. Lass mich nicht mit ihm allein. Er wird mich umbringen. Ich schwöre es, er wird es tun!«
»Er bringt dich nicht um. Die Zeile tot oder lebendig hat man schon vor über hundert Jahren von den Steckbriefen gestrichen.«
»Bitte! Ich möchte, dass du mich zurückbringst. Bitte!«
»Ich sagte, er wird dich nicht umbringen. Ich habe nicht gesagt, dass ich es nicht tun würde.«
Renee hätte ihm beinahe geglaubt. Sie hatte noch nie erlebt, dass jemand sie mit diesem unerbittlichen Blick ansah, der zu sagen schien: »Ich will jemanden zum Krüppel schlagen«. Und es war umso Furcht einflößender, weil sie dieser Jemand war.
»John, bitte hör mir zu ...«
»Nein. Ich habe dir lange genug zugehört. Und du hast mich bisher nur angelogen.«
»Das tut mir Leid. Aber ...«
»Es tut dir Leid ? Du lügst mich an, du stiehlst meinen Wagen, du hetzt mich in den Kampf gegen einen tausend Pfund schweren Gorilla, und dann hast du mir nichts Besseres zu sagen, als dass es dir Leid tut?«
In diesem Moment wurde Renee klar, dass es hier um mehr ging als den üblichen Konflikt zwischen Polizist und Verbrecher. John nahm die Sache persönlich. Sehr persönlich. Sie war schuld, dass er sich wie ein Idiot benommen hatte, und das würde er ihr niemals verzeihen.
Kurz darauf bog er mit dem Wagen auf den Parkplatz einer Klinik und hielt in der Nähe der Notaufnahme an. Renee blickte sich verwundert um.
»Was machen wir hier?«
»Ich habe es dir gesagt. Ich bringe dich zu Leandro zurück.«
»Er ist hier?«
»Nur so lange, bis man seine Nase wieder ungefähr in die Mitte seines Gesichts gerückt hat.«
»Du hast ihm die Nase gebrochen?«
»Ja. Das ist die übliche Vorgehensweise von Helden, die unschuldige junge Frauen vor brutalen Zeitgenossen schützen wollen.«
Renee zuckte zusammen. Falls er beabsichtigt hatte, ihr ein schlechtes Gewissen einzureden, war es ihm gelungen.
John stieg aus, ging um den Wagen herum und zerrte Renee nach draußen. »Ich möchte, dass du dich benimmst, wenn wir dort hineingehen«, sagte er und drängte sie zum Eingang der Notaufnahme. »Wenn du dir auch nur einen Fehltritt erlaubst, werde ich dafür sorgen, dass dir Leandros Rachepläne wie ein Sonntagspicknick vorkommen. Verstanden?«
Renee kämpfte gegen den irrationalen Drang, sich von ihm loszureißen und wegzurennen. Welchen Sinn hätte es gehabt? Sie würde ihm niemals entkommen. Sie würde damit nur erreichen, dass sich seine ohnehin miese Laune weiter verschlechterte.
John zog sie durch den Warteraum zum Empfangsfenster. Eine Frau mittleren Alters im OP-Kittel und mit einem Stethoskop um den Hals stand hinter der Scheibe und blätterte in irgendwelchen Unterlagen.
John schob das Fenster geräuschvoll auf und zeigte ihr seine Marke. »Wo ist der Kerl, der sich vor ein paar Minuten angemeldet hat? Groß, zertrümmerte Nase, hässlich wie die Nacht.«
Die Frau musterte die Polizeimarke. »Er ist hinten.«
»Dann sollte er nach vorne kommen. Und zwar sofort.«
»Tut mir Leid. Er liegt in Narkose.«
»Was?«
»Er hat sich über seine heftigen Schmerzen beklagt, also habe ich ihm Demerol gegeben. Ich habe einen plastischen Chirurgen angefordert.«
»Einen Chirurgen?«, wiederholte John fassungslos. »Er soll operiert werden?«
»Ja. Wer immer ihn so zugerichtet hat, scheint ganze Arbeit geleistet zu haben.«
»Wann wird er entlassen.«
»Frühestens morgen.«
John schloss die Augen und stieß einen unterdrückten Fluch aus. Renee verspürte unglaubliche Erleichterung ein Gefühl, das John ganz bestimmt nicht teilte. Er steckte seine Marke in die Tasche zurück und schnaufte frustriert. »Na, das ist ja großartig!«
Die Ärztin beugte sich vor und senkte die Stimme. »Er wird doch nicht etwa gesucht, oder? Immerhin hätte er genau die richtige Visage für ein Fahndungsfoto.«
»Nein«, sagte John erschöpft. »Er wird nicht gesucht.« Dann warf er Renee einen vorwurfsvollen Blick zu, als wäre es ihre Schuld, dass Leandro vorübergehend außer Gefecht gesetzt war.
»Sie haben da ein ziemlich böses Veilchen«, sagte die
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