Ein Kuss und Schluss
verwandelt, Renee war alles andere als fröhlich, und sie war dabei, ins Gefängnis zu wandern. Außerdem hatte Dorothy wesentlich nettere Gefährten gehabt als den Mann, der neben Renee durch den Matsch stapfte. Johns mürrischer Ausdruck hatte sich dauerhaft in sein Gesicht eingefressen, und er verströmte so viel negative Energie, dass sie in Gefahr schwebte, von der Straße gefegt zu werden.
Gestern Nacht war er vor ihr eingeschlafen, während sie in der Dunkelheit gezittert hatte, die gefesselten Hände zusätzlich am Rahmen des Schlafsofas festgebunden, mit einer Schnur, die er in einem Küchenschrank gefunden hatte. Sie hatte ihn im Licht des langsam erlöschenden Feuers angestarrt und vor Wut auf ihn geschäumt. Gleichzeitig hatte sie ihn nicht einen Moment aus den Augen lassen können. Vorübergehend hatte sie sich vorgestellt, er wäre gar kein Polizist, sondern einfach nur der sehr attraktive anonyme Mann, den sie im Diner getroffen hatte.
Nein. Hör auf damit, ihn als Mann zu betrachten. Er ist ein knallharter Bulle, der tierisch wütend auf dich ist. Und es ist ihm völlig egal, dass er möglicherweise eine unschuldige Frau in den Knast bringt.
Ja, er hatte ziemlich gut ausgesehen, wie er dort im Bett gelegen hatte. Doch als er am Morgen aufgewacht war, hatte er sich sofort wieder in den bösen Bullen verwandelt. Er hatte ihr nicht einmal das Klebeband abgenommen, als sie ins Bad gegangen war. Sie musste sich zu einer Bretzel verbiegen, um das zu bewerkstelligen, was unter normalen Umständen eine recht einfache Übung war. Daraufhin hatte sie ihre nie zuvor in Frage gestellte Annahme revidiert, dass alle Menschen, selbst fuchsteufelswilde Polizisten, ein Herz besaßen.
Dann war er durchgedreht, weil sie seine Zahnbürste benutzt hatte. Also bitte! Gestern Abend hatte er sie problemlos geküsst, aber heute durfte sie nicht mal seine Zahnbürste benutzen? Wenn sie gewusst hätte, wie sehr es ihn ärgerte, wenn sie in seine Privatsphäre eindrang, hätte sie seinen extrastarken und extramännlichen Deostift die Toilette hinuntergespült.
Als sie nun die matschige Straße entlanggingen, unternahm sie einen neuen Versuch, ihn zu erweichen: »John, würdest du mich bitte von diesem Klebeband befreien?«
»Ich habe dir schon dreimal gesagt, dass du die Klappe halten sollst.«
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. »Was ist los? Sind wir heute früh auf der falschen Seite des klobigen Schlafsofas aufgestanden?«
»Du hast mir anschaulich bewiesen, dass du alles tun würdest, um nicht ins Gefängnis zu kommen. Warum sollte ich also ein weiteres Risiko eingehen?«
»Vielleicht, weil es einfach nur nett wäre?«
»Es gehört nicht zu meinen Aufgaben als Polizist, nett zu sein.«
»Als Bürger und Steuerzahler denke ich, dass ich eine etwas nettere Behandlung verdient habe.«
»Das ist einer der großen Vorteile des Lebens im Gefängnis, Renee. Du bist für längere Zeit von allen Steuern befreit.«
Sie schnaufte angewidert. »Würde es dich umbringen, wenn ich es nur ein wenig bequemer hätte?«
»Als du es das letzte Mal bequem hattest, hast du mein Auto gestohlen.«
»Ich habe dir schon mehrmals gesagt, dass ich vorhatte, es dir zurückzugeben!«
»Dann hattest du vielleicht auch vor, das Geld zurückzugeben, das du dem Supermarkt gestohlen hast, wie? Und die Kugel aus der Frau zu ziehen, auf die du geschossen hast. Ich kann mich nicht erinnern, dass du auch das schon mehrmals gesagt hast.«
»Ich habe auf niemanden geschossen! Und ich habe kein Geld gestohlen! Wie oft muss ich das noch sagen?«
»Es schert mich einen feuchten Dreck, wie oft du irgendetwas sagst. Du kommst ins Gefängnis, Punkt.«
Wie war sie nur auf die Idee gekommen, etwas bewirken zu können, indem sie auf ihn einredete?
Vielleicht gab es für sie keine Möglichkeit mehr, dem Gefängnis zu entkommen. Zumindest nicht, solange John sich für sie verantwortlich fühlte. Aber das bedeutete nicht, dass sie aufgeben würde, dass sie nicht von dem Moment an, wenn man die Zellentür hinter ihr zuknallte, mit allen Mitteln darum kämpfen würde, wieder freizukommen.
»John? Was schätzt du, wie viele Menschen du schon ins Gefängnis gebracht hast?«
»Ich führe keine Liste.«
»Nur eine grobe Schätzung. Einhundert? Zweihundert?«
»Könnte hinkommen. Und wenn dieser Tag vorbei ist, hat sich diese Zahl um eins erhöht.«
Sie wäre gerne darauf herumgeritten, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben. »Junge, das sind eine Menge
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