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Ein Kuss und Schluss

Ein Kuss und Schluss

Titel: Ein Kuss und Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Graves
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Verbrecher. Aber vielleicht«, wagte sie sich vor, »waren einige davon unschuldig.«
    »Alle waren unschuldig.«
    »Was?«
    »Frag sie, und sie werden dir genau das sagen.«
    Hundert bissige Erwiderungen gingen ihr durch den Kopf, aber sie riss sich zusammen, damit ihr keine über die Lippen kam. Polizisten reagierten sehr empfindlich auf Beleidigungen. Das hatte sie auf die harte Tour gelernt, und zwar während eines Black-Sabbath-Konzerts im Texas Stadium, das sie mit sechzehn Jahren besucht hatte. Mit ihrer üblichen Mischung aus Trotz und Streitlust hatte sie zu einem Hilfspolizisten gesagt, er solle seinen fetten Arsch zur Seite bewegen, weil er ihr die Sicht auf die Bühne versperrte. Schließlich hatte sie noch schlechtere Sicht gehabt - vom Parkplatz aus.
    Sie hatte diese Nacht schon fast vergessen, doch nun wusste sie wieder ganz genau, was sie damals empfunden hatte. Polizisten sind Feinde. Ihr Verstand wusste, dass das nicht stimmte. Halte dich an die Gesetze, dann hast du nichts zu befürchten. Das hatte sie sich in den Jahren danach immer wieder gesagt. Du kannst dich ändern. Bau dir eine neue Existenz auf. Ein Leben, auf das du stolz sein kannst. Aber das schien auch nicht zu stimmen. Sie hatte sich an die Gesetze gehalten und trotzdem Ärger mit der Polizei bekommen.
    Leider hatte es den Anschein, dass John genauso wie jeder andere Polizist war, den sie bisher kennen gelernt hatte. Harte, stumpfsinnige Kerle, denen alles scheißegal war. Wurden nur Arschlöcher in den Polizeidienst aufgenommen, oder machte der Polizeidienst sie zu Arschlöchern?
    »Was schätzt du, wie oft jemand, den du für schuldig gehalten hast, in Wirklichkeit unschuldig war?«
    »Hör endlich auf damit, Renee!«
    »Aber es ist doch nur logisch, wenn ...«
    Er blieb abrupt stehen und starrte sie an. »Wenn du nicht aufhörst ...«
    »Was?«, fragte sie. »Was wirst du tun, wenn ich nicht die Klappe halte?«
    Er stapfte drohend ein paar Schritte auf sie zu. Eine Locke fiel ihm in die Stirn, was ihm in Kombination und den funkelnden Augen ein düsteres und gefährliches Aussehen verlieh. Sie wusste, wenn sie diesen Mann provozierte, wäre es genauso, als hielte sie einen frischen Fisch über ein Haifischbecken. Doch statt sie zu misshandeln, was sie angesichts seiner Miene erwartet hatte, schüttelte er nur den Kopf, fuhr herum und stapfte weiter die Straße entlang.
    Renee empfand eine tiefe Genugtuung, dass sie diese Runde gewonnen hatte. War es möglich, dass dieser große, böse Bulle am Ende gar nicht so groß und böse war?
    Sie beeilte sich, nicht den Anschluss zu verlieren. »Nicht so schnell, John.«
    Er legte noch einen Zahn zu und entfernte sich mit langen Schritten weiter von ihr. Sie gab sich alle Mühe, wieder an seine Seite zu gelangen.
    »Könntest du vielleicht für einen Moment langsamer werden und mir zuhören?«
    »Das ist völlig überflüssig, Renee. Ich habe es bereits verstanden. Das alles ist ungerecht, weil du es nicht getan hast. Und ich bin ein verdammtes Arschloch, weil ich meine Aufgabe erfülle und dich in den Knast bringe. Habe ich es einigermaßen zutreffend zusammengefasst?«
    Nein. Sie hätte ihn gerne am Kragen gepackt, ihn zum Stehenbleiben genötigt und gezwungen, sich die ganze Geschichte anzuhören. Bedauerlicherweise hatte sie nichts in der Hand, womit sie ihn dazu hätte zwingen können. Wenn er jedoch das gegenwärtige Tempo beibehielte, wäre sie tot, wenn sie das Ende des Waldes erreicht hatten.
    He! Moment mal!
    Sie blieb plötzlich stehen und konnte kaum fassen, dass sie sich so idiotisch benahm. Warum in aller Welt beeilte sie sich so? Sie ging zu einer grasbewachsenen Stelle neben dem Weg hinüber.
    Und setzte sich.
    John drehte sich um. »Was machst du da?« Sie tat, als hätte sie ihn nicht gehört. Passiver Widerstand. Bei Gandhi hatte es schließlich auch funktioniert. »Steh auf«, sagte er. »Sofort!«
    Als sie ihn weiter ignorierte, kam John zurückmarschiert. Er durchbohrte sie mit einem konzentrierten, wutgeladenen Blick. Wahrscheinlich hatte er diesen professionellen Gesichtsausdruck stundenlang vor dem Spiegel geübt. »Steh auf«, wiederholte er mit eisiger Stimme. »Vielleicht solltest du dich stattdessen zu mir setzen. Wir könnten ... ein wenig plaudern.« »Plaudern ? Ich glaub, ich spinne!« Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie am Arm gepackt und auf die Beine gestellt. Die Vögel krächzten und flatterten davon. Der Lärm hallte langsam verebbend durch

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