Ein Kuss und Schluss
nachdem sie sich fest vorgenommen hatte, nie wieder ein Gesetz zu übertreten?
»Ich hätte da einen Vorschlag«, sagte John mit tiefer und ruhiger Stimme. »Wir tun einfach so, als wäre das hier nie passiert. Ich werde dich nach Tolosa bringen, und wenn sich herausstellt, dass du tatsächlich nicht für den Raubüberfall verantwortlich bist, vergesse ich einfach, dass du mein Auto gestohlen hast. Ich vergesse auch, dass du meine Waffe an dich genommen hast. Aber eins muss ich dir sagen: Wenn du auf mich schießt, wird es mir sehr schwer fallen, all das zu vergessen.«
Es war ein verlockendes Angebot. Aber obwohl es sehr vernünftig klang, musste sie früher oder später mit einer längeren Haftstrafe rechnen, weil einfach zu viele Beweise gegen sie sprachen. Allein der Gedanke ans Gefängnis brachte ihre Hände zum Zittern, als würde sie mit einem Mal unter einer Nervenkrankheit leiden. Sie versuchte sich zu beruhigen. Dann traten ihr Tränen in die Augen, und sie zitterte noch heftiger.
Nein, nein, nein!
Sie blinzelte, aber sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Sie wischte sich das Gesicht an der Schulter ab, damit sie wieder klarer sehen konnte. Sie durfte jetzt nicht zusammenbrechen. Nicht, wenn sie nur wenige Schritte von der Freiheit entfernt war.
John hob eine Hand, während er immer näher kam.
»Hör mal, Schätzchen, wenn du nicht aufpasst, könntest du unabsichtlich den Abzug berühren, und ich glaube, es würde dir wirklich Leid tun, wenn du mich erschießt. Meinst du nicht auch?«
Sie war immer noch etwa fünf Meter vom Wagen entfernt, doch auf einmal wusste sie, dass sie es nicht mehr schaffen würde. John kam mit jedem Schritt näher, und wenn sie die Waffe von ihm abwenden musste, um die Wagentür mit der linken Hand aufzuschließen, würde er sich auf sie stürzen. Sie musste ihn aufhalten.
»Keinen Schritt weiter, John! Ich meine es ernst!«
Er streckte ihr eine Hand entgegen. »Gib mir die Waffe. Wirf sie einfach herüber, dann vergessen wir die ganze Sache.«
»Ja, sicher! Das wirst du bestimmt tun!«
»Ich gebe dir mein Wort, Renee. Ich werde so tun, als wäre heute Nacht nichts Erwähnenswertes vorgefallen. Aber ich muss dich nach Tolosa bringen. Wenn ich etwas anderes sagen würde, wüsstest du, dass ich lüge, nicht wahr?«
Renee bedachte ihn mit einem müden Blick. Wahrscheinlich hatte er alle möglichen Verhandlungsstrategien an der Polizeischule gelernt, die nur darauf abzielten, dass er sich keine Kugel einfing und sie im Knast landete. Woher sollte sie also wissen, was Wahrheit und was Lüge war?
»Außerdem«, fuhr er fort, »sagst du, dass du unschuldig bist. Wenn das stimmt, musst du dir überhaupt keine Sorgen machen.«
»Komm schon, John! Bei all den Beweisen, die gegen mich sprechen, wird man mich in jedem Fall verurteilen. Man wird mich in eine Zelle sperren und den Schlüssel wegwerfen!«
»Du wirst eine faire Gerichtsverhandlung bekommen.«
»Ach, hör doch auf! Glaubst du wirklich an diesen Quatsch?«
»Ich bin Polizist, Renee. Was meinst du, woran ich glaube?«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet!«
John starrte sie an, und sein Atem bildete Dunstwolken in der kalten Nachtluft. »Natürlich glaube ich daran, dass du eine faire Gerichtsverhandlung bekommst«, sagte er schließlich, aber seine Erwiderung kam etwas zu spät, um noch glaubwürdig zu klingen. Sie konnte es nicht ausstehen, von oben herab behandelt zu werden. Und sie konnte es nicht ausstehen, dass er sie für eine Verbrecherin hielt. Und ganz besonders missfiel ihr, dass er so tat, als läge ihm nur ihr Wohlergehen am Herzen, während er in Wirklichkeit nur daran interessiert war, dass sie möglichst schnell hinter Gitter kam.
Wieder streckte John die Hand aus. »Die Waffe, Renee.«
»Nein! Ich gehe nicht ins Gefängnis für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe!«
Gefängnis.
Urplötzlich wurde sie von einer Erinnerung an das »Angstprogramm« überwältigt, das sie als Teenager mitgemacht hatte. Sie hörte wieder, wie die groben, spöttischen Stimmen einer ganzen Horde Frauen auf sie einwirkten.
Du wirst vom Essen hier drinnen begeistert sein, Blondie. Maden sind unsere wichtigste Eiweißquelle.
He, Baby, wie findest du mein Kleid? Ziemlich flott, was? Lass dich einsperren, dann bekommst du auch so eins.
Siehst du diese Narbe? Ein Messer kann ziemlich gemein sein. Es ist so schnell passiert› dass ich gar nichts davon mitbekommen habe.
Was‘n los, Mädel? Heul doch
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