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Ein Kuss und Schluss

Ein Kuss und Schluss

Titel: Ein Kuss und Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Graves
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macht das die Sache zu kompliziert ? Meinst du zum Beispiel die Möglichkeit, dass du es tatsächlich erkennen könntest, wenn du mal einen Fehler gemacht hast?«
    John blinzelte erstaunt über die Worte, die aus ihrem Mund purzelten - und aus seinem. Erst in diesem Augenblick erkannte er die Wahrheit - es waren ihre Augen, die ihn fertig machten. Dieser kleine Mistkerl, der freigesprochen worden war, hatte diese schuldigen und höhnischen Augen gehabt, die John wie einen Feuerwerkskörper am vierten Juli hochgehen ließen. Deshalb hatte er den verdammten Handtuchspender zertrümmert, weil es ihm nicht möglich gewesen war, den kleinen Mistkerl zu zerstören.
    Und jetzt sah er die Kehrseite. Renee, in deren großen blauen Augen die reine Unschuld stand. Er sah, wie sie im Gefängnis saß, fälschlich verurteilt, ein namen- und gesichtsloses Wesen, das durchs System geschleust wurde und zehn Jahre später als hart gewordene, verbitterte Frau wieder herauskam, nur noch ein Schatten ihrer früheren Persönlichkeit, eine Frau, der man das Leben gestohlen hatte ...
    Nein.
    Er wandte den Blick ab. Sie griff nach seinem Arm und zerrte ihn zurück. »Wage es nicht, meinem Blick auszuweichen!«
    Er drehte sich wieder zu ihr herum. Er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass sie zitterten. »Okay, Renee. Ich schaue dich an. Und weißt du, was ich sehe? Ich sehe eine Verbrecherin, die das Blaue vom Himmel herunterlügt, um ihre Haut zu retten. Das sehe ich!«
    »Und weißt du, was ich sehe? Ich sehe einen Mann, der so verbohrt ist, dass er die Wahrheit nicht einmal erkennen würde, wenn sie ihm ins Gesicht spuckt!«
    Seine Wut schwoll an und stampfte in primitivem Rhythmus durch seinen Kopf. »Du weißt überhaupt nichts über mich.«
    »Oh, doch!« Ihre Stimme war tief und eindringlich, sie fraß sich in ihn hinein und setzte seine Nerven unter Hochspannung. »Du bist ein Mann, der gerne das Gute im Menschen sehen würde, aber das kannst du nicht, weil du zu viel von der verdorbenen Seite der Menschheit gesehen hast. Und nun kannst du an nichts mehr glauben. Und das bedeutet, dass du verloren hast, John. Du hast jede Hoffnung verloren, den Rest deines Lebens als Mensch verbringen zu können. Ich weiß zwar nicht, ob dein ganzes Leben beschissen ist oder ob du nur im Dienst so bist, aber ...«
    »Hör auf, Renee ...«
    »... du hast eine völlig verdorbene Grundeinstellung. Und statt nachzugeben und nur einmal nachzudenken, was du tust, hältst du dich einfach an die Vorschriften, ohne dich dafür zu interessieren, ob sie sinnvoll oder überhaupt anwendbar sind. Und du hast eine Heidenangst, mir in die Augen zu schauen, weil du dann erkennen könntest, wie sehr du ...«
    »Ich sagte, hör auf!«
    Sie verstummte und starrte ihn an. Ihr Atem ging hektisch, und ihre Wangen waren vor Wut gerötet. Er musste zurückweichen, sie vom Baumstamm wegzerren, damit sie weitergehen konnten. Aber sie hatte einen sehr empfindlichen Nerv getroffen, und er konnte nur staunen, wie sie es geschafft hatte, so gezielt seinen wunden Punkt zu finden. Und warum er ihr so nahe war, dass kaum ein Taschentuch zwischen ihnen Platz gehabt hätte. Und warum er seinen Blick nicht von ihr losreißen konnte, während ihn eigentlich alles dazu drängte, sie nicht anzuschauen.
    In John regte sich etwas, das er zutiefst hasste - ein Gefühl der Ungewissheit, das ihn bis auf die Knochen erschütterte. Er lockerte den Griff um ihre Handgelenke, bis die Berührung beinahe zärtlich wurde. Die Zeit schien zäh wie Sirup dahinzufließen, während er ihr so nahe war, und langsam, ganz langsam, verwandelte sich ihre zornige Miene in einen flehenden Ausdruck.
    »Schau mich an, John. Bin ich schuldig?«
    Ihre Stimme war jetzt kaum noch hörbar, ihre Worte waren nicht mehr als ein flüsternder Atemhauch, der über ihre Lippen strich. In diesem Moment spürte er, wie alle Wut und Skepsis von ihm abfielen - die wichtigen Emotionen, die jeder Polizist brauchte, um keine Dummheiten zu begehen, zum Beispiel hübschen blonden Verbrecherinnen zuzuhören, wie sie ihre Unschuld beteuerten.
    »Die Beweise sprechen für deine Schuld.«
    »Die Beweise sind falsch.«
    Er sah sie lange Zeit an, während er von einer kühlen, nach Kiefern duftenden Brise umweht wurde. »Vielleicht.«
    Vielleicht.
    Als er dieses Wort aussprach, wusste er, dass er eine Grenze überschritten hatte, von der er sich mindestens hundert Kilometer entfernt halten sollte. In solchen Dingen gab es kein

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