Ein Kuss vor Mitternacht
die erste günstige Gelegenheit, um sich zurückzuziehen.
Zu ihrem Erstaunen trat ihr am Fuß der Treppe ein Diener in den Weg. „Miss …?“
Sie hielt mit einem fragenden Blick inne.
„Seine Lordschaft wünscht Sie im Arbeitszimmer zu sprechen“, erklärte der Lakai mit einer leichten Verneigung.
„Lord Leighton?“, fragte Constance verdutzt, da sie ihn soeben noch im Musikzimmer im Gespräch mit Sir Lucien und Francesca gesehen hatte.
„O nein, Miss, verzeihen Sie. Lord Selbrooke wünscht Sie zu sprechen.“
Constance starrte ihn fassungslos an. „Ich … ja, natürlich. Danke.“
Ihre Verwirrung spiegelte sich wohl in ihrem Gesicht, denn der Lakai fragte: „Darf ich Ihnen den Weg zeigen, Miss?“
„Ja gern.“ Constance folgte dem Diener den Flur entlang. Was mochte Dominics Vater nur von ihr wollen?
Der Diener klopfte, öffnete, bat Constance herein und schloss die Tür leise hinter ihr. Sie richtete den Blick auf Lord Selbrooke, der am anderen Ende des Raumes hinter einem wuchtigen Mahagonischreibtisch saß. Er erhob sich und deutete auf einen hohen Lehnstuhl.
„Bitte nehmen Sie Platz, Miss Woodley.“
Constance gehorchte mit einem flauen Gefühl in der Magengegend. Der Raum war sehr imposant, geradezu Furcht einflößend mit seiner dunklen Holzvertäfelung und dem monströsen schwarzen Mobiliar aus Jakobinischer Zeit. Der stattliche Earl wirkte gleichfalls Furcht einflößend mit seiner strengen Miene und der herrischen Haltung. Nun lehnte er sich zurück und betrachtete die Besucherin schweigend.
Es war deutlich zu erkennen, dass der Earl beabsichtigte, sie einzuschüchtern. Constance straffte unwillkürlich die Schultern, fühlte sich zwar befangen, war allerdings nicht bereit, sich ihre Unsicherheit anmerken zu lassen.
Lord Selbrooke zögerte das Schweigen lange hinaus, und Constance wartete höflich ab.
„Sie wissen zweifellos, warum ich Sie sprechen möchte“, begann der Earl endlich.
„Nein, Mylord, ich fürchte nein“, antwortete Constance mit fester Stimme.
„Sie müssen doch ahnen, dass ich diese Verbindung für meinen Sohn nicht wünsche.“
„Ja, gewiss.“
„Dominic war immer schon starrköpfig“, fuhr er fort.
„Er ist ein Mann strenger Prinzipien“, pflichtete Constance ihm bei.
„Nennen Sie es, wie Sie wollen“, sagte der Earl achselzuckend. „Ich denke, es ist einfacher, mit Ihnen zu sprechen als mit meinem Sohn. Wie ich annehme, wissen Sie besser, wo Ihre Interessen liegen.“
Offenbar versuchte er, ihr die Ehe mit Dominic auszureden. Welche Ironie, dachte Constance innerlich schmunzelnd, dass er sich bemühte, sie von etwas zu überzeugen, wozu sie sich längst entschieden hatte. Sie sollte zustimmen und ihn bitten, ihr eine Kutsche für die Reise nach London zur Verfügung zu stellen. Seine arrogante Art und seine abfällige Meinung über seinen Sohn forderten allerdings ihren Widerspruchsgeist heraus.
„Mir ist natürlich klar, dass Sie von dieser Ehe profitieren würden.“ Der Earl stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und verschränkte die Hände. „Ich erwarte nicht, dass Sie Ihren Plan verwerfen, ohne gewisse Ansprüche zu erheben, und ich bin bereit, Sie zu entschädigen.“
Constance blickte ihn betroffen an. „Wie bitte? Bieten Sie mir etwa Geld an, damit ich Dominic nicht heirate?“
„Selbstverständlich.“ Er holte einen kleinen Lederbeutel aus der Schublade, zog die Lederschnur auf und schüttete eine Handvoll Goldmünzen auf den Schreibtisch.
Constance starrte auf die Münzen, so entsetzt über seinen Vorschlag, dass sie sprachlos war.
Lord Selbrooke lächelte schmallippig. „Natürlich. Ich stelle fest, dass Ihnen das nicht genügt. Mit etwas anderem habe ich nicht gerechnet.“
Er legte ein schwarzes Samttuch neben die Münzen, schlug es sorgsam auf und enthüllte eine Halskette aus funkelnden Diamanten und Rubinen.
„Ein Teil des Familienschmucks der Fitz Alans“, erklärte er, „ein Erbstück aus der Epoche des zweiten Earls. Meine Großmutter trug die Kette auf dem Porträt in der Ahnengalerie.“ Er schaute Constance an. „Sehr wertvoll. Wenn Sie den Schmuck verkaufen, haben Sie für den Rest Ihres Lebens ausgesorgt. Allerdings unter der Bedingung, dass Sie auf meinen Sohn als Ehemann verzichten.“
Bebend vor Zorn sprang Constance auf, die Hände zu Fäusten geballt, um ihr Zittern zu verbergen. „So etwas denken Sie von mir?“, stieß sie gepresst hervor. „Sie wollen mich bestechen, damit ich Dominic
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