Ein Kuss vor Mitternacht
Eltern geredet.
Am Wochenende findet der Abschlussball statt, bevor die Gäste abreisen. Bei dieser Gelegenheit wird die Verlobung verkündet.“
Constance seufzte. Dominic blieb uneinsichtig. An seinem Entschluss, das zu tun, was von einem Gentleman erwartet wurde, war offensichtlich nicht zu rütteln. Im Grunde genommen hätte Constance das wissen müssen.
Aber sie wollte ihm diese Last keinesfalls aufbürden, wollte nicht zulassen, dass seine Familie, sein Besitz, sein Name darunter leiden mussten, weil sie sich leichtfertig und unbesonnen aufgeführt hatte. Hätte er nur ein einziges Mal von Liebe gesprochen, hätte er ihr nur einmal gesagt, wie glücklich es ihn machen würde, sie zu heiraten, hätte sie freudig zugestimmt.
Aber er handelte lediglich aus Pflichtgefühl, keineswegs aus Liebe. Er betrachtete seine Entscheidung als etwas, das in seiner „Verantwortung“ lag. Er wollte nicht als „Schuft abgestempelt“ werden. Wie könnte sie ihn heiraten, ihr ganzes Leben an seiner Seite verbringen mit ihrer Liebe zu ihm, die ihr das Herz zerriss, im Wissen, dass er sie nicht liebte? Dass er sie nur geheiratet hatte, um sein Ehrgefühl nicht zu beflecken?
Constance hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Natürlich wäre es das Einfachste, ihren Widerstand aufzugeben und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Dadurch wäre ihr Ruf nicht beschädigt, und im Laufe der Zeit würde Dominic sie vielleicht so lieben, wie sie ihn liebte. Es geschah doch gelegentlich, dass zwei Menschen einander lieben lernten. Viele Paare heirateten, nur weil es der Wunsch ihrer Familien war, und verliebten sich später ineinander.
Aber nein, Constance konnte und wollte sich nicht selbst belügen. Es bestand ein großer Unterschied zwischen einer Zweckheirat und einer erzwungenen Heirat. Diese Ehe würde gegen den Wunsch seiner Familie geschlossen werden und seine Eltern dazu verdammen, gleichfalls in beschränkten finanziellen Verhältnissen zu leben. Diese Ehe wäre für Dominic eine ständige Quelle der Irritation. Er wäre immer daran erinnert, dass er seine Pflichten der Familie gegenüber vernachlässigt hatte, dass er kein Geld besaß, um den Landbesitz von Schulden zu befreien, dass er seinen Kindern keine erstklassige Schulbildung ermöglichen konnte – und das alles wegen eines Fehltritts mit ihr. Unter diesen Umständen wäre er kaum fähig, sie lieben zu lernen. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde er sie bald hassen.
Nein, sie durfte nicht nachgeben, musste stark bleiben. Aber was sollte sie tun? Wenn sie in Redfields blieb, würde Dominic die Verlobung am Wochenende offiziell bekannt machen, und danach wäre es umso komplizierter, die Angelegenheit zu dementieren. Die überstürzte Ankündigung als Reaktion auf Muriels böswillige Vorwürfe zurückzunehmen, mochte die Gesellschaft nachsichtig verzeihen, aber eine offizielle Ankündigung zu widerrufen würde einen großen Skandal auslösen.
Constance war fest entschlossen, Dominic an einer offiziellen Ankündigung zu hindern, und das konnte sie nur erreichen, wenn sie Redfields den Rücken kehrte. Der Versuch, ihm diesen Plan auszureden, war fehlgeschlagen, aber eine Verlobung ohne Braut zu verkünden wäre mehr als lächerlich. Dadurch würde Dominic endlich erkennen, wie ernst es ihr mit ihrer Ablehnung war.
Allerdings lag die Schwierigkeit darin, wie sie ihre Flucht bewerkstelligen sollte. Ihr Onkel und ihre Tante hatten sich strikt geweigert, sie nach London zu begleiten, da ihnen die Hochzeit ihrer Nichte mit einem zukünftigen Earl von höchster Wichtigkeit war. Und Constance hatte nicht genügend Geld, um eine Kutsche zu mieten. Sie hatte ihre gesamte Barschaft bis auf wenige Münzen für Garderobe und Accessoires in London ausgegeben. Um an Bargeld zu gelangen, müsste sie Wertpapiere verkaufen, was einige Tage dauern würde. Sie spielte mit dem Gedanken, sich Geld von Francesca zu borgen und mit der Postkutsche zu reisen. Allerdings hatte sie den dringenden Verdacht, dass Francesca sie diesmal nicht unterstützen würde.
Sie könnte vielleicht Calandra nach Hilfe fragen, die sie stets freundlich behandelt hatte, scheute sich aber, das junge Mädchen um Geld für ihre Flucht zu bitten. Ähnliche Bedenken hatte sie den anderen Gästen gegenüber.
Es war ermüdend, den ganzen Abend eine freundliche Miene zur Schau zu tragen, höflich Konversation zu betreiben und neugierigen Fragen auszuweichen. Zu viele Probleme schwirrten ihr im Kopf herum, also nutzte sie
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