Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
vergleichsweise geringe Betrag kam nicht zusammen – und das bei einer Mission mit humanitären Zielen. Bei anderen Interventionen, etwa in Bosnien, Haiti und andernorts, beklagten sich UN -Mitgliedsstaaten über den mangelnden Ausbau der lokalen Institutionen, so dass es ihnen nicht möglich war, diese Gebiete in einem annähernd geordneten Zustand zu verlassen. Auf solche Klagen reagierte ich immer öfter mit dem Hinweis, dies sei im Grunde unsere eigene Schuld. Eine Schuld, die in der hartnäckigen Weigerung begründet war, die Entwicklung in den Mittelpunkt unserer Friedensstrategie zu stellen. Die Mitgliedsstaaten billigten zwar die Zwecke, aber selten die Mittel. Wie stets investierte die Welt bereitwillig in die Werkzeuge der Gewalt, aber nicht in die Ressourcen des Friedens.
Der Kalte Krieg zerstörte nicht nur durch Stellvertreterkriege das politische und soziale Gefüge der jeweiligen Staaten, sondern trieb auch einen ideologischen Keil in die Vereinten Nationen. Bis 1989 trafen in den Debatten der UNO stets die kapitalistische westliche und die kommunistische östliche Auffassung über die ökonomische und soziale Entwicklung aufeinander. Als zwischenstaatlicher Organisation fiel es der UNO umso schwerer, eine gemeinsame Entwicklungsagenda aufzustellen.
Ich muss zugeben, dass man sich damals leicht in den konkurrierenden Paradigmen verfangen konnte – wie es uns allen gelegentlich passiert ist. Aber später erkannte ich, dass die Debatte im Kern von ideologischer Eitelkeit geschürt wurde, und nicht von der Sorge um die Menschen, die unter dem Elend und den Demütigungen extremer Armut litten. In all jenen Jahren schleppte sich die Debatte zwischen einem Kapitalismus, der auf privatem Unternehmertum beruhte, und dem Staatssozialismus dahin, als sähe man nicht, wie dringlich diejenigen, die nichts mehr zu verlieren hatten, Hilfe benötigten. Und diejenigen, die wirklich zählten – die Sterbenden, die Kranken und die gedemütigten Armen –, verlor man im Streit aus den Augen.
Aber auch nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen weiterhin von dieser Debatte überschattet. In der neuen, von der ökonomischen Globalisierung geprägten Welt erwies sich der Kapitalismus fraglos als Lokomotive enormer Veränderungen weltweit, aber die Entwicklungsagenda wurde immer noch von der alten ideologischen Debatte behindert. In der UNO stand man privatem Unternehmertum und Kapital weiterhin mit tiefem Misstrauen gegenüber, obwohl sie zur vorherrschenden Realität hinter großen, greifbaren Entwicklungsfortschritten in weiten Teilen der Welt wurden.
Auf der anderen Seite bildete sich eine ähnlich beschränkte Ansicht heraus: dass die Globalisierung eine steigende Flut darstelle, die alle Boote anheben werde. In den Geberländern gelangte man deshalb zu der zutiefst irrigen Auffassung, dass es nicht notwendig sei, größere Summen für die Entwicklungshilfe bereitzustellen, da private Investitionen deren Aufgaben erfüllen würden. Besonders beunruhigend war die Richtung der Veränderung in vielen Ländern: Einhundert Staaten ging es 1997 schlechter als 15 Jahre zuvor. Die Globalisierung hob keineswegs »alle Boote« an, so sehr man sich das auch wünschen mochte. Vielmehr geschah das Gegenteil. Noch schlimmer war das Ausbleiben ausländischer Hilfe bei der Bewältigung der kolossalen Probleme. 1996 sank der Anteil, den die Entwicklungshilfe der Geberländer an deren Bruttoinlandsprodukt ausmachte, auf einen historischen Tiefstand, bei weiter sinkender Tendenz.
Am Ende des letzten Jahrhunderts konnte man nur entsetzt sein über das Resultat all dieser Jahre: Über 60 Prozent der Weltbevölkerung mussten mit zwei Dollar oder weniger am Tag auskommen; über eine Milliarde Menschen lebten von weniger als einem Dollar am Tag; annähernd eine Milliarde Menschen waren Analphabeten; 800 Millionen Menschen – also jeder Siebente auf der Erde –, darunter 200 Millionen Kinder, litten ständig Hunger; und 1,3 Milliarden Menschen hatten keinerlei Zugang zu Gesundheits-, Sanitär- und Bildungseinrichtungen. Trotz dieser erschreckenden Zahlen über die weltweite Armut ließen die UN -Mitgliedsstaaten keine Dringlichkeit erkennen, auch nur einen kleinen Teil der für die Bewältigung dieser globalen Tragödie nötigen Ressourcen und Anstrengungen aufzubringen. Ein tiefgreifender Wandel war erforderlich. Aber die Grundfrage, die die internationale Entwicklung seit Jahrzehnten
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