Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
heimsuchte, lautete nach wie vor: Wie?
Nach meinem Amtsantritt begriff ich rasch, dass wir kreativer sein mussten. So wie die Dinge standen, war klar, dass wir nicht erwarten durften, von den Mitgliedsstaaten die nötigen Mittel zu erhalten. Wie in den zurückliegenden Jahrzehnten würde der Versuch, Staats- und Regierungschefs sowie leitende Minister von der Bedeutung der Entwicklung und der schrecklichen Armut auf der Welt zu überzeugen, nicht ausreichen, um ihre kollektive Sorge zu entfachen. Offenbar brauchten wir ein neues Arsenal von Instrumenten, um auf diesem Gebiet etwas zu bewirken. Aber bevor wir diese erwerben konnten, brauchten wir eine neue Art der Führerschaft, um das Engagement der UNO für die Entwicklung neu zu beleben – und zwar auf innovative, dynamische Art und Weise. Wir mussten alle Kräfte im privaten und öffentlichen Sektor, die in der Lage waren, sich dem Kampf anzuschließen, mobilisieren.
Gleich zu Beginn meiner Amtszeit begann ich damit, Verbindung zu anderen Akteuren auf der Weltbühne aufzunehmen. Die Ersten, an die ich mich wandte, waren Vertreter der internationalen Zivilgesellschaft: das heißt Wohltätigkeits- und andere Nichtregierungsorganisationen. In Entwicklungsländern war die Arbeit der Vereinten Nationen häufig eng mit der Tätigkeit der NGO s verknüpft. Viele dieser Organisationen waren natürlich schon seit Jahren aktiv, aber in den neunziger Jahren begannen sie, sich in beispielloser Weise untereinander zu vernetzen. Katalysator dieser Kooperation waren oftmals UN -Konferenzen, wie die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 in Rio de Janeiro und der Weltfrauengipfel im Jahr 1995 in Peking. Sie brachten Tausende von NGO s zusammen und verhalfen ihnen in Bezug auf Tatkraft und Organisation zu einer neuen Qualität.
Ich habe immer betont, dass die UNO eine Organisation nicht von Regierungen, sondern von Völkern sein sollte, da alle Macht letztendlich vom Volk ausgeht und nicht von Regierungen. Aufgrund der Ausweitung einer robusten internationalen Zivilgesellschaft in den vorangegangenen Jahren war es nun möglich, diesen Anspruch mit Leben zu erfüllen. Ich zögerte nicht zuzugeben, dass NGO s der UNO auf vielen Gebieten voraus waren. Sie waren die »Bombenwerfer«, die Eisbrecher sozialer und ökonomischer Entwicklungsarbeit, und besaßen in der Regel weit mehr konkrete Erfahrung in den Ländern, in denen sie aktiv waren.
Wegen des großen Potentials, das die NGO s mit ihrer Energie, ihrem Tatendrang und ihrer Entschlossenheit besaßen – zumal sie sich jetzt international vernetzten –, bemühte ich mich öffentlich um Kontakte zur internationalen Zivilgesellschaft und um eine Zusammenarbeit mit ihr. Wenn möglich, wollte ich das gemeinsame Engagement institutionell absichern. In den ersten Monaten meiner Amtszeit als UN -Generalsekretär wies ich alle UN -Einrichtungen an, enge Arbeitsbeziehungen mit der Zivilgesellschaft zu knüpfen und zu formalisieren sowie Foren für eine echte Konsultation und Kooperation zu schaffen.
Die Ausweitung der Bündnisse mit dieser neuen Gruppe von Akteuren sollte sich später bei der Neuformulierung der Entwicklungsagenda als unverzichtbar erweisen, und zwar nicht nur aufgrund ihrer Aktivitäten in Entwicklungsländern. Unserer Gemeinsamkeit lag ein vernünftiger und tief moralischer Zweck zugrunde. Was fehlte, war der Wille der meisten UN -Mitgliedsstaaten. Politische Führer sind in ihren Ländern in vieler Hinsicht an Kompromisse zwischen verschiedensten Wählerschaften und Zielgruppen gebunden, deren Erwartungen sie erfüllen müssen, wenn sie an der Macht bleiben wollen. Deshalb war es oftmals schwer oder unmöglich, sie von einem eigentlich vernünftigen, im Interesse ihres Landes liegenden internationalen Kurs zu überzeugen. Aber die internationale Zivilgesellschaft besteht aus einem Netzwerk von Organisationen, deren Anhänger aus moralischem Engagement heraus handeln. Unter ihnen befinden sich viele Wähler aus Geberländern, so dass sie auf diese Weise auf die Innenpolitik der jeweiligen Länder einwirken können.
Indem wir unsere globalen Entwicklungspartnerschaften mit der internationalen Zivilgesellschaft ausweiteten, eröffneten wir die Möglichkeit, eine Bewegung der Einflussnahme anzustoßen und zu verstärken, die die Debatte weltweit voranbringen konnte. Tatsächlich sollte sich diese Bewegung als sehr lebendig herausstellen, bis hin zur Teilnahme von
Weitere Kostenlose Bücher