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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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Damit beschrieb er auf eindrückliche Weise das Ergebnis von vierzig Jahren israelischer Besetzung. Israelis behaupten häufig, die UNO übertreibe die kritische Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Vielleicht können Scharons Worte sie vom Gegenteil überzeugen. Ich bin seither nicht wieder im Gazastreifen gewesen. Wenn es aber im Jahr 2005 aussah, wie Scharon es in jenem Jahr beschrieb, dann muss die Situation heute – nach jahrelanger israelischer Blockade und Hamasherrschaft – noch weitaus schlimmer sein.
    Scharons Kalkül zufolge warf Israel durch den Rückzug aus dem Gazastreifen eine Last ab, während es an den entscheidenden Siedlungsblöcken auf der Westbank unverändert festhielt. Er wollte sich der amerikanischen Rückendeckung für die israelische Haltung in Bezug auf Siedlungen und Flüchtlinge in künftigen Verhandlungen versichern und zugleich unterstreichen, dass es auf palästinensischer Seite »keinen Partner« gebe. Scharon erzielte zwar all diese taktischen Siege; in strategischer Hinsicht schob der Rückzug aus dem Gazastreifen eine Lösung des Konflikts jedoch in noch weitere Ferne. Denn er löste eine Entwicklung aus, die es den Palästinensern zunehmend erschwerte, den politischen Zusammenhalt zu bewahren, und der Hamas in die Hände spielte; zudem verstärkte er die Sorge der Israelis über die Folgen eines Rückzugs aus besetzten Gebieten für ihre Sicherheit.
    Trotz erheblicher Vorbehalte war mir klar, dass ich auf einen israelischen Rückzug aus einem Gebiet, das nicht zu Israel gehörte, nicht ablehnend reagieren konnte. Aber ich war mir auch bewusst, dass hier »das Richtige auf falsche Weise« getan wurde. Wir warnten den Sicherheitsrat davor, dass der Gazastreifen in Gesetzlosigkeit, Chaos und Anarchie versinken werde – eine berechtigte Warnung vor dem, was im Vakuum nach Abzug der Israelis geschehen konnte. Durch sein unilaterales Handeln untergrub Scharon die Stellung des neuen palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, der nach Arafats Tod im Januar 2005 zu dessen Nachfolger gewählt worden war. Scharon sandte das gleiche beunruhigende Signal aus wie Barak fünf Jahre zuvor im Libanon: Israel war eher bereit, ein Gebiet zu verlassen, wenn die Kosten des Konflikts zu hoch wurden – diesmal aufgrund der Aktivitäten von Kämpfern der Hamas –, als eine friedliche Einigung mit der Palästinenserführung anzustreben. (Netanjahu verhielt sich 2011 genauso, als er die Forderung der gemäßigten Führung der Westbank nach einer Freilassung von Gefangenen zurückwies, aber im Austausch für einen in Gaza gefangengehaltenen israelischen Soldaten der Hamas tausend palästinensische Häftlinge übergab.)
    Um die Auswirkungen dieses Vorgangs zu mildern und sicherzustellen, dass der Gazastreifen nach dem Abzug der Israelis eine lebensfähige Einheit und kein erdrückendes Gefängnis bilden würde, wollte ich mich dafür einsetzen, dass Israelis und Palästinenser beim Rückzug zusammenarbeiteten. Außerdem wollte ich die Roadmap wieder ins Spiel bringen und verhindern, dass man sich noch weiter von ihr entfernte. In der damaligen Sprache hieß das: »Gaza zuerst, nicht zuletzt!« Dies erforderte energische diplomatische Anstrengungen, unter anderem von Seiten der UNO . Ende 2004 hatte mein Sonderbeauftragter Rød-Larsen Jerusalem verlassen; an seiner Stelle ernannte ich den altgedienten UN -Diplomaten Álvaro de Soto, der im Mai 2005 seinen Posten antrat. De Soto wurde regelmäßig mit heiklen Aufträgen betraut und hatte bei Friedensprozessen in El Salvador und Zypern Beeindruckendes geleistet.
    Unabhängig davon forderte US -Außenministerin Condoleezza Rice mich in einem Telefongespräch auf, den aus dem Amt scheidenden Weltbankchef James Wolfensohn zum Sonderbeauftragten für den Gaza-Rückzug zu ernennen. Ich ging darauf ein, schlug aber vor, ihn nicht nur als UN -Beauftragten, sondern im Namen des gesamten Nahostquartetts zu entsenden. Wolfensohn war ein guter Freund und setzte sich leidenschaftlich für die Armen und Schwachen ein. Zudem war er auf unvergleichliche Weise in der Lage, Spendengelder einzusammeln, und er kannte sowohl die Israelis als auch die Palästinenser gut.
    Er versetzte Berge, um ein gerechtes, funktionierendes Rahmenwerk zustande zu bringen, das die Sicherheit an den Grenzübergängen zwischen dem Gazastreifen und Israel garantierte, einen reibungslosen Fluss von Ein- und Ausfuhren gewährleistete und eine sachgemäße Übernahme der Gewächshäuser,

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